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Stefanie Hornung

Was man vom „Guten Rat für Rückverteilung“ lernen kann

Aktualisiert: 24. Juli

50 zufällig ausgewählte Menschen konnten gemeinsam über die Verteilung von 25 Millionen Euro aus dem Erbe von Marlene Engelhorn entscheiden. Dieser „Gute Rat für Rückverteilung“ sollte zu einer faireren Vermögensverteilung beitragen. Dabei lief nicht alles rund. Doch gerade aus den Schwierigkeiten der Initiative kann man einiges für New-Pay-Projekte lernen. 


Menschen sitzen um einen Tisch mit Kärtchen, die zeigen, wie sie miteinander arbeiten wollen
So sah die Arbeit im Guten Rat für Rückverteilung aus. Foto: Hanna Fasching

Viele Unternehmen trauen sich nicht an eine partizipative Arbeitsweise bei Vergütung heran, weil sie Angst vor Quertreiber:innen, der Gruppendynamik oder endlosen Diskussionen haben. Dann doch lieber im HR-Kreis oder unter Expert:innen bleiben, die wissen was sie tun.  


Wer die Medienberichte zum „Guten Rat für Rückverteilung“ liest, mag sich in einer solchen Haltung zunächst bestätigt fühlen. Die Initiative hat Marlene Engelhorn gestartet. Dass einzelne Personen aufgrund ihres Vermögens mehr Entscheidungsmacht haben als andere – für sie ein No-Go. Die Aktivistin, die die Initiative „Tax me now“ mitgegründet hat, erbte von ihrer Großmutter Millionen aus dem Nachlass des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Mit dem „Guten Rat“ wollte sie den Großteil dieses Geldes und die damit einhergehende Macht an die Gesellschaft zurückgeben. Dafür hat sie vom Forschungsinstitut Foresight ein „diverses Projektteam“ aufstellen lassen: Die Teilnehmenden sollten die Bevölkerung Österreichs etwa hinsichtlich Geschlecht, Herkunft und Einkommen repräsentieren. Es handelt sich um eine einzigartige, mutige Initiative, die wir im New Pay Collective sehr begrüßen. 


Doch bei der Arbeit des Bürgerrats tauchten Fragen auf: Warum durften nur ausgewählte Medien den Entscheider:innen über die Schulter schauen? Welche Vorgaben waren von der Erbin und ihrem Organisationsteam gesetzt und was verhandelbar? Verfügten die Beteiligten über die nötige Expertise, um gute Entscheidungen zu treffen? Und kam am Ende wirklich eine bessere Verteilungslösung heraus als bei Stiftungsprojekten reicher Menschen? 

 

Sechs Dinge, die man für partizipative New-Pay-Projekte lernen kann 

 

Die Arbeit in diesem „Guten Rat“ ist natürlich nur bedingt mit New-Pay-Projekten vergleichbar, bei denen es um die Gestaltung von Vergütungssystemen geht. Das hat Auswirkungen auf das persönliche Gehalt und so entwickelt sich eine andere psychologische Dynamik. Wer in einem New-Pay-Projekt mitmacht, ist zudem in der Regel über die Projektdauer hinaus verantwortlich für die Konsequenzen der Entscheidungen. Dennoch sind hier einige Dinge passiert, die auch in New-Pay-Projekten vorkommen können.  

 

Sechs Learnings kann man daraus ableiten: 

 

1. Kommunikation von Anfang an mitdenken  


Wenn jemand ein Millionenerbe verschenkt und dann auch noch ein partizipatives Gremium mit der Verteilung beauftragt, ist die Neugierde der Öffentlichkeit groß. Doch über welche Informationskanäle sollte die Arbeit des „Guten Rats“ nach außen dringen? Als dieser startete, beschränkte das Organisationsteam den Zugang für die Medien. Nur der Standard (hier ist der Medienbericht frei verfügbar), das Zeit-Magazin und das US-Magazin The New Yorker durften den Rat begleiten und aus erster Hand berichten. Natürlich ist es verständlich, dass man die Arbeit der Ratsmitglieder nicht zu sehr stören wollte. Diese hatten sich jedoch nicht beschwert. Es wäre also besser gewesen, von Anfang an die Kommunikationsregeln klarzustellen.  

 

Auch in New-Pay-Projekten sehen wir immer wieder, dass Unternehmen loslaufen und sich erst später Gedenken um die Kommunikation machen. Dann ist das Kind oft schon in den Brunnen gefallen und Misstrauen gesät, dass man bestimmte Informationen geheim halten möchte. In partizipativen Projekten ist Kommunikation eine Daueraufgabe, die schon vor Projektbeginn beginnt. Es gilt, sich ein paar zentrale Fragen zu beantworten:  

  • Welche Kommunikationskanäle sind die passendsten – innerhalb und außerhalb des Entscheidungsteams? 

  • Welche Informationsbedarfe bestehen zum jeweiligen Zeitpunkt und welche Form der Kommunikation erscheint am hilfreichsten, um den Informationsbedarf zu decken? 

  • Was möchte man nach innen und was nach außen kommunizieren? 

 

2. Einen klaren Rahmen setzen  


Einige Eckpunkte der Arbeit im „Guten Rat“, waren klar gesetzt. Projektzeitraum: vier Monate im ersten Halbjahr 2024. Aufgabe: 25 Millionen von Marlene Engelhorns Erbe auf unterschiedliche Organisationen verteilen. Ausgeschlossen waren profitorientierte Investments und eine Parteigründung. Doch genügte das? 


Um alle Themenfelder abzudecken, gründete das Organisationsteam sechs Unterräte – für Bildung und Information, Gesundheit und Soziales, Raum und Wohnen, Umwelt und Klima, Teilhabe und Rechte sowie Wirtschaftspolitik und Überreichtum. In diesen Gruppen galt es zu entscheiden, wie das Geld am meisten bewirken kann. Anscheinend war jedoch einigen Ratsmitgliedern nicht klar, dass hier die meiste Entscheidungsarbeit stattfinden würde und woran sie sich dabei orientieren sollten.  


Deshalb gilt: Die Auftraggeber:innen sollten Werte, Ziele und Erwartungen klar formulieren. Und Antworten auf einige vorab zu klärenden Fragen geben, um Missverständnisse zu vermeiden: 

  • Was soll nach dem Projekt anders sein? Was sollen Beteiligte und andere Stakeholder hinterher über den Prozess oder die Lösung sagen und berichten? 

  • Auf welche Werte soll die Zusammenarbeit und die Lösung am Ende einzahlen? 

  • Was sollen die Beteiligten im Projekt beleuchten, überarbeiten und entwickeln?  

  • Was darf hinterfragt werden? Was nicht? Welche Leitplanken für das Vorgehen und das Problem- und Aktionsfeld gibt es? 

 

3. Bewusste Wahl der Formen von Partizipation  


Die Medienberichte suggerieren, dass die Entscheidungsfindung nach dem Consentprinzip (gibt es keine Einwände, gelten Vorschläge als angenommen) möglicherweise nicht immer ganz frei von Vorgaben erfolgt sind.

Marlene Engelhorn vor dem Schriftzug "Guter Rat für Rückverteilung"
Marlene Engelhorn, Foto: Hanna Fasching

Die „Marlene“ und ihre Vorstellungen von Vermögensverteilung waren wie ein Geist ständig im Raum. Die Auswahl der Expert:innen, die die Ratsmitglieder zu Entscheidungsthemen aufschlaute, schienen einseitig gewählt und deckten nicht das gesamte Meinungsspektrum ab. Es ist okay, bestimmte Dinge vorzugeben. Aber man sollte dazu stehen. 


Manchen Organisationen sind die verschiedenen Formen der Partizipation nicht bewusst: Mitbestimmung, teilweise Entscheidungskompetenz, Entscheidungsmacht oder nur Einbeziehung gehen durcheinander. Auch im „Guten Rat“ scheinen teilweise schon erwünschte Ergebnisse vorgegeben worden zu sein, was natürlich den Prozess an sich diskreditieren kann. So hat es „ein Geschmäckle“, dass das Momentum Institut, für die die Projektleiterin des „Guten Rats“ vorher arbeitete, die dritthöchste Spende erhielt (1.226.000 Euro).  


In New-Pay-Projekten empfehlen wir, Entscheidungsverfahren im Entwicklungsprozess möglichst früh festzulegen und zu kommunizieren. Auf diese Weise machen Organisationen von Anfang an deutlich, welcher Grad an Partizipation gewünscht, möglich und sinnvoll erscheint. Nichts ist schlimmer, als Menschen partizipative Räume zu eröffnen und diese bei der ersten Entscheidung, die einem nicht passt, gleich wieder zu zerstören. Oder unter der Hand, die Beteiligten zu manipulieren und ihnen die persönliche Präferenz als eigene Entscheidung unterzuschieben. 

 

4. Diversität erhöht den Lernbedarf  


Manchen Ratsmitgliedern ging die Entscheidungsfindung offensichtlich zu schnell. Von Beschlüssen im Schnelldurchlauf und „holterdipolter“ ist die Rede. Zeit zum Nachdenken und Reflektieren blieb wohl zu wenig. 


Eine repräsentative Zusammensetzung von Projekt- oder Entscheidungsteams ist wichtig, erfordert aber auch oft einen höheren Lernbedarf, da nicht alle unbedingt von Anfang an auf Augenhöhe diskutieren können oder ihnen wichtige Informationen für eine gute Entscheidung noch fehlen. Dann mit dem Argument „Überforderung“ in den Entscheidungsprozess hinein zu grätschen, ist ein Problem des Prozesses, der Moderation und der zeitlichen Kapazitäten. Diese bereitzustellen, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor von partizipativen Projekten. 

 

5. Eine Lösung, die alle 100-prozentig gut finden, gibt es nicht  


Konflikte und Meinungsverschiedenheiten gehören bei monetären Aushandlungsprozessen dazu. Der Standard berichtet, wie die Gruppe Bildung die Diskussion um eine Spende an Wikipedia fast sprengte. Ohne Bildung und Wissen lasse sich Ungleichheit nicht aus der Welt schaffen, so der Befürworter. Andere betrachteten die Organisation hinter Wikipedia als zu finanzstark und wollten lieber andere Initiativen fördern. Die Gruppe behalf sich damit, die Regeln ein wenig aufzuweichen – doch für Wikipedia etwas zu spenden, aber eine Obergrenze für den Geldbetrag einzuziehen.   


Auch in New-Pay-Projekten gibt es immer wieder Meinungsverschiedenheiten und Konflikte bezüglich bestimmter Lösungswege. Hier hilft es, sich auf das Zielbild und die gemeinsamen Werte zu konzentrieren und von da aus ggf. noch einmal neu anzusetzen. Was ist wirklich das Beste für die Organisation – und nicht nur für einzelne Beteiligte? Treten akut Spannungen oder Diskussionen in der Organisation auf, kann Kommunikation außerhalb der Reihe notwendig und zielführend sein – in Einzelgesprächen, Dialogrunden oder gezielten Befragungen. Ein Aushandlungsprozess ist harte Arbeit und am Ende können nicht immer alle glücklich sein. Entscheidend ist, dass die Beteiligten ins Gespräch kommen und die Argumente im Raum verstehen und akzeptieren lernen. 

 

6. Partizipation bringt die fairere Lösung, nicht zwangsläufig die objektiv „bessere“ 


Letztlich haben die Beteiligten das Millionenbudget an 77 Initiativen verteilt. War das zu viel des Guten? Manche fragen sich, ob eine Initiative mit einem großen Batzen Geld nicht hätte mehr bewirken können als viele kleine, bei denen die Investition schneller verpufft. Kam am Ende also wirklich eine bessere Verteilungslösung heraus als bei Stiftungsprojekte, die reiche Menschen allein aufgrund ihrer persönlichen Präferenzen aufsetzen? 


Gegenfrage: Ist die objektiv gute Lösung hier überhaupt das Maß der Dinge? Wenn es um Fairness geht, nicht zwangsläufig. In New-Pay-Projekten lässt sich beobachten: Partizipativ erarbeitete Vergütungssysteme stoßen in der Regel auf eine hohe Akzeptanz derjenigen, die davon betroffen sind, weil sie selbst oder ihre Vertreter:innen ein Wörtchen mitreden konnten. Das hat natürlich mit einer hohen Passung für die eigene Organisation und den eigenen Bereich zu tun. Aber auch unabhängig von der Lösung, zu der man in einem partizipativen Aushandlungsprozess kommt: Schon allein ein nachvollziehbares, partizipatives Verfahren steigert das Gerechtigkeitsempfinden.  


 

Über die Autorin

Stefanie Hornung hat mittellange, braune Haare. Sie trägt einen schwarzen Blazer über einem lila Tshirt. Sie steht vor einer weißen Häuserwand mit Fenstern

Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.


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