Gerade wird viel über die ideale Wochenarbeitszeit diskutiert. Während manche Wirtschaftsvertreter:innen am Status quo festhalten oder die Regelarbeitszeit sogar ausbauen möchten, gibt es immer mehr Experimente, eine verkürzte Arbeitswoche einzuführen. Doch was passt für Dein Unternehmen? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.
Angesichts von Fachkräftemangel und einer vermeintlich größeren Anspruchshaltung von Mitarbeitenden an den Job liebäugeln immer mehr Unternehmen mit einer Arbeitszeitverkürzung. Die Gleichung, „wer länger arbeitet, schafft mehr“ gilt oft nicht mehr – vor allem in Bürojobs. Deshalb rücken Lösungen wie die Vier-Tage-Woche, Wahlarbeitszeit oder Arbeitszeitflexibilität zunehmend in den Fokus.
Arbeitszeitverkürzung muss passen
Natürlich ist die Frage berechtigt, ob weniger Arbeit für alle möglich ist. Könnten etwa Mitarbeitende bei Tesla in 32 Stunden ebenso viele Autos zusammenbauen wie in 40? Was wir aktuell erleben, ist die Individualisierung der Arbeitswelt: Es wird immer schwerer, eine pauschale Lösung für alle Beschäftigten zu finden. Während „9 to 5“ an fünf Tagen pro Woche mancherorts durchaus noch Sinn ergibt, wirkt sie anderswo wie ein Relikt aus alten Zeiten. Arbeitgebende sind deshalb gut beraten, eine passende Lösung in Sachen Arbeitszeit für ihre Organisation zu suchen.
Mit dieser Q&A-Liste möchten wir Unternehmen einladen, sich damit auseinanderzusetzen.
Was spricht gesellschaftlich für eine Arbeitszeitverkürzung?
Homeoffice hat die Ansprüche an Arbeit stark verändert. Mitarbeitende fordern heute mehr Freiheit und Lebensqualität. Verschiedene Studien legen nahe, dass sich eine Arbeitszeitverkürzung positiv auf Produktivität und Gesundheit der Beschäftigten auswirken könnte. Auch die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Thema: Frauen würden nicht so leicht in die Teilzeitfalle tappen, wenn Männer auch regelmäßig weniger arbeiten. Care-Arbeit ließe sich so gerecht verteilen. Gewonnene Freizeit könnte der Gemeinschaft zu Gute kommen – vorausgesetzt die Menschen nutzen diese auch für soziales Engagement. Mehr arbeitsfreie Tage könnten auch den ökologischen Fußabdruck von Unternehmen reduzieren, da Beschäftigte weniger im Pendelverkehr unterwegs sein müssten.
Wenn es um die Rentensicherung geht, war zuletzt auch der Gegenvorschlag einer Arbeitszeitverlängerung auf eine 42-Stunden-Woche im Gespräch (auf Initiative von IW-Chef Michael Hüther). Zuwanderung zu fördern, wird in diesem Zusammenhang überhaupt nicht als Lösung mitgedacht. Derartige Ideen vernachlässigen außerdem die Möglichkeiten, Arbeit neu zu organisieren. Mit der Digitalisierung erleben Menschen einen neuen Arbeitsrhythmus. Laut einer Studie der NWI Next Work Innovation führt ein stark fragmentierter Arbeitsalltag zu einem höheren Stresserleben in Unternehmen. Wissensarbeiter:innen werden während ihrer Arbeitszeit im Schnitt alle vier Minuten unterbrochen. Darin liegt ein starkes Optimierungspotential.
Welche Ziele verfolgen Unternehmen mit Modellen wie der Vier-Tage-Woche?
Arbeitgeber-Attraktivität: Homeoffice und Hybrid Work ist inzwischen kein Alleinstellungsmerkmal mehr – das bieten viele Unternehmen. Anders ist es beispielsweise mit der Vier-Tage-Woche: Hier können sich Arbeitgeber wirklich noch von anderen unterscheiden. Und das zahlt auch auf die Bindung der Mitarbeitenden ein.
Weniger Krankheitstage: Studien zeigen, dass Lösungen zur Arbeitszeitverkürzung wie eine Vier-Tage-Woche krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzieren können.
Höhere Produktivität: Performance kann man nicht mehr an der Arbeitszeit ablesen. Zahlreiche Studien sowie Versuche großer Unternehmen wie Microsoft in Japan und Buffer in den USA haben ergeben, dass eine Vier-Tage-Woche die Produktivität steigern kann.
Innovation: Ausgeruhte Menschen sind kreativer. Wenn Beschäftigte weniger gestresst sind, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass sie neue Wege bei Produktentwicklung oder Zusammenarbeit gehen möchten. Mitarbeitende haben mehr Zeit zu lernen und ihren Interessen nachzugehen – das färbt auch auf die Arbeit ab.
Welche verschiedenen Modelle für eine kürzere Arbeitswoche gibt es?
Eine kürze Arbeitswoche kann ganz unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Je nachdem wie viele Arbeitstage pro Woche vorgesehen sind, mit wie vielen Wochenstunden, wie flexibel das gelöst ist und ob auch bei weniger Stunden ein voller Lohnausgleich erfolgt, sind die Lösungen und die Wechselwirkungen jeweils andere. Wir stellen hier fünf verschiedene Ansätze vor. Es gibt aber natürlich viele weitere Möglichkeiten wie die Arbeitszeit gestaltet werden kann.
32-Stunden-Woche: Die Wochenarbeitszeit liegt bei 32 Stunden. Meist sind diese verteilt auf vier Tage a acht Stunden. Zu den Pionierunternehmen gehört etwa die Agentur eMagnetix, die sogar mit 30 Stunden in der Woche auskommt.
5-Stunden-Tag: Mitarbeitende arbeiten fix fünf Stunden am Tag für fünf Tage die Woche. Bekanntes Beispiel hierzulande ist die Agentur Rheingans Digital Enabler.
Wahlarbeitszeit mit Vollzeitkorridor: Beschäftigte können in einem bestimmten Rahmen und mit einer gewissen Ankündigungszeit ihre Arbeitszeit in einer Vollzeit-Stelle wählen – und so lebensphasenorientiert anpassen. Meist erhalten sie bei einer Reduzierung der Arbeitszeit oder mehr Urlaub entsprechend weniger Gehalt. Die Deutschen Bahn hat ein solches Modell etabliert (EVG-Wahlmodell).
Belgisches Schema: In Belgien gibt es eine gesetzlich geregelte Vier-Tage-Woche, allerdings ohne vollen Lohnausgleich. Beschäftigte haben die Möglichkeit, nur an vier Tagen die Woche zu arbeiten, wenn aus betrieblichen Gründen nichts dagegenspricht (ist beim Arbeitgeber zu beantragen). Es ist auch möglich in manchen Wochen mehr und anderen weniger zu arbeiten.
Sabbatical bei vollem Lohnausgleich: Eine Arbeitszeitverkürzung können Unternehmen auch durch mehr Urlaub oder in Form von Arbeitsauszeiten gestalten. Der Kondom- und Menstruationsproduktehersteller Einhorn bietet zum Beispiel seinen Beschäftigten einen Sabbatical-Monat pro Jahr, während die Lohnzahlung weiterläuft. Die Mitarbeitenden – egal ob sie in Voll- oder Teilzeit arbeiten – können frei wählen, wann sie das Sabbatical nehmen möchten, solange sie dies rechtzeitig ankündigen.
Welche Tätigkeiten erlauben eine Arbeitszeitverdichtung (gleiche Arbeit in weniger Zeit)?
Nicht alle Tätigkeiten eigenen sich für eine Arbeitszeitverdichtung – vor allem Berufsfelder im Blue-Collar-Bereich sind oft außen vor. Auch Aufgaben, die stark gesetzlich geregelt sind oder eine hohe Qualität voraussetzen, lassen sich nicht immer in weniger Zeit erledigen oder wenn, dann mit bestimmten Risiken (zum Beispiel bei Fluglotsen oder Chirurg:innen).
Generell gilt aber: Je komplexer eine Aufgabe, desto mehr Möglichkeiten gibt es, sich besser zu koordinieren und unnötige Unterbrechungen zu vermeiden. Denn gleiche Arbeit in weniger Zeit – das funktioniert nur, wenn sich auch die Arbeitsweise ändert. Es gilt, Zeitfresser zu identifizieren und Prozesse zu entschlacken (zum Beispiel unnötige Besprechungen oder zu lange, schlecht vorbereitete Meetings, zu viele E-Mails, Focus Time oder meetingfreie Tage einführen, in der Mitarbeitende nicht gestört werden). Wenn Beschäftigte in einer kürzeren Arbeitszeit genauso gute oder bessere Resultate erzielen sollen, erfordert dies ein hohes Maß an Selbstverantwortung und die Bereitschaft zu lernen: nämlich sich neu zu organisieren und lieb gewonnene Rituale hinter sich zu lassen.
Welche positiven Effekte und Schwierigkeiten können flexible Arbeitszeiten mit sich bringen?
Ob die Lage der Arbeitszeit feststeht oder flexibel sein sollte, hängt neben persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben von Faktoren wie der Intensität der Zusammenarbeit im Team und vom Kundenkontakt ab. Eine verkürzte Arbeitswoche mit flexiblen Arbeitszeiten ist nicht immer der Königsweg, sondern kann positive und schwierige Effekte mit sich bringen.
Positive Effekte:
Bessere Work-Life-Integration für die Beschäftigte: Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden profitieren von den verkürzten Wochenstunden (besagt beispielsweise eine Studie in Island).
Individueller Rhythmus möglich: Menschen können die Zeit nutzen, in der sie sich am produktivsten fühlen.
Notwendigkeit, Dinge intelligenter zu tun: Wenn Flexibilität gefordert ist, macht das die Betriebe erfinderisch. Wenn weniger Personal verfügbar ist – wie zum Beispiel in der Gastronomie, können Digitalisierung (Online-Bestellung auch vor Ort) oder weniger Services (Speisen selbst an der Theke abholen) mögliche Optionen sein.
Auf was man achten sollte:
Erfordert höheren Grad an Selbstorganisation, denn fokussiertes Arbeiten ist Voraussetzung, dass das Ganze funktioniert. Beschäftigte müssen Timeboxing bei flexibler Arbeitszeit selbst für sich übernehmen. Auszeiten, um private Dinge zu erledigen, können die Re-Fokussierungszeit erhöhen.
Der Abstimmungsbedarf im Team steigt – insbesondere, wenn innerhalb von Teams Beschäftigte verschiedene Arbeitszeiten und eine andere Arbeitsdauer wählen. Der Kommunikationsbedarf nimmt zu. Wenn Singe nicht klar geregelt sind, kann das zu Spannungen führen – vor allem dann, wenn keine nicht klar ist, woran Leistung gemessen wird. Dann fallen Menschen doch auf die Zeit als gewohntes Maß zurück.
Gefahr, mehr informelle Überstunden zu leisten: Die Island-Studie hat zwar keine solche Wirkung festgestellt. Aber Betriebe berichten durchaus, dass mehr informeller Austausch außerhalb der Arbeitszeit stattfindet, wenn Smalltalk unter Kolleg:innen durch konsequente Fokuszeiten abnimmt. Auch der kollegiale Support kann auf Dauer darunter leiden.
Welche Länder sind Vorreiter und wie setzen sie eine kürzere Arbeitswoche um?
Belgien: Gesetz zur Vier-Tage-Woche (s.o. bei Modellen einer verkürzten Arbeitswoche)
Island: Dort liefen zwei Feldversuche zur Viertagewoche – ein Testlauf mit bis zu 2.500 Arbeitnehmenden in 2015 und ein weiterer ab 2017 mehr mit mehr als 400 Personen. Die Studie zeigte positive Ergebnisse bei Produktivität und Wohlbefinden. Stress und Burnout-Fälle sanken. Das isländische Projekt war so erfolgreich, dass heute etwa 85 Prozent der Isländer:innen die Möglichkeit haben, eine 32-Stunden-Woche zu nutzen.
UK Pilotprojekt: Von Juni bis Dezember 2022 erproben mehr als 70 britische Organisationen eine Vier-Tage-Woche ohne Lohneinbußen für die Beschäftigten. Es handelt sich um den weltweit größten Versuch einer Vier-Tage-Woche, den die 4-Day-Week Foundation koordiniert. Über 3.300 Arbeitnehmende aus mehr als dreißig Branchen erhalten für 80 Prozent der Zeit vollen Lohn und verpflichten sich im Gegenzug, mindestens 100 Prozent der Produktivität aufrechtzuerhalten.
Die 4-Day-Week Foundation führt weitere Pilotprojekte durch, zum Beispiel in den USA und Canada.
Wie kann man mit Widerstand der Führungskräfte umgehen?
Manche Führungskräfte sehen die Arbeitszeit ebenso wie Anwesenheit als Kontroll- und Führungsinstrument. Ihnen fehlen oft Kriterien, woran sie unabhängig davon die Produktivität und Leistung der Beschäftigten messen können. Daran gilt es vor Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells zu arbeiten und die Vorstellung von Leistung besprechbar zu machen. Wenn Muster der Zusammenarbeit hinterfragt werden sollen und es darum geht, Arbeitszeit effizienter zu nutzen, sollten Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen. Dafür ist es hilfreich, wenn sie in Pilotprojekten oder die Entscheidungsfindung aktiv eingebunden sind. Letztlich sind gerade Führungskräfte von der digitalen Fragmentierung besonders betroffen und profitieren deshalb auch in höchstem Maße von einer fokussierten Arbeitsweise.
Was passt für mein Unternehmen?
Wie für New Pay generell gilt auch hier: Es gibt keine Blaupause beim Thema Arbeitszeit. Um herauszufinden, welcher Ansatz für welche Tätigkeiten und Bereiche am besten passt, arbeitet zum Beispiel das New Pay Collective mit partizipativen Projektgruppen oder Freiwilligenteams. Wenn diese divers zusammengesetzt sind, können verschiedene Sichtweisen auf das Thema gleich von Anfang an in die Wahl des Ansatzes eingebunden werden. Wichtig ist, dass die Geschäftsführung dafür einen klaren Rahmen vorgibt, ihre Erwartungen an ein mögliches Pilotprojekt zu einer Neugestaltung der Arbeitszeit formuliert und die Ressourcen für eine Umstellung klärt – in Arbeitsstunden und Budget. Eine Entscheidung, welches Modell das richtige ist, muss dann nicht vorab getroffen werden, sondern kann Teil der Arbeit in der Projektgruppe sein.
Fragen, die man sich zur Entscheidungsfindung stellen kann:
Was ist das Hauptziel, das mit der Arbeitszeitverkürzung erreicht werden soll (passend zum Zukunftsbild der Organisation)?
Für welche Tätigkeiten und Bereiche eignet sich eine Arbeitszeitverkürzung?
Wie viele Beschäftigte würden gern weniger arbeiten? Wie wichtig ist ihnen dabei die Lage der Arbeitszeit und die Flexibilität?
Welche Folgen könnte ein Wahlmodell haben? Müssten ggf. neue Beschäftigte eingestellt werden, wenn sich viele Mitarbeitende für weniger Arbeit entscheiden? Ist das Budget dafür vorhanden?
An welchen Kriterien wird das Unternehmen künftig seine Produktivität und Wirksamkeit messen? Welche Wertbeiträge sind dazu von Beschäftigten erwünscht? Wie verändert sich Führung durch neue Arbeitszeiten?
Welche Unterstützung brauchen Mitarbeitende, damit ein Pilotprojekt erfolgreich ist?
Welche Dynamik kann sich in Teams ergeben, für die keine Arbeitszeitverkürzung möglich ist oder die sich dagegen entscheiden? Wie lässt sich das kommunikativ begleiten?
Ihr habt noch Fragen (und Antworten)? Dann schreibt uns gern an info@coplusx.de.
Wer erfahren möchte, wie man Arbeitszeitverkürzung in einem New-Pay-Prozess angehen kann:
Schaut im New Pay Campus vorbei!
Über die Autorin
Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.
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