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Sollten wir den Equal Pay Day abschaffen?

Nadine Nobile

Aktualisiert: vor 9 Stunden

Einmal im Jahr macht der Equal Pay Day Schlagzeilen. Aber welchen Zweck erfüllt er eigentlich? Hat er uns wirklich näher an faire Bezahlung gebracht oder lenkt er nur von tiefergehenden Lösungen ab? Obwohl der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland von 18 Prozent im Vorjahr auf 16 Prozent zurückging, ist das im europäischen Vergleich weiterhin nur hinteres Drittel. Länder wie Luxemburg haben die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern seit 2021 vollständig geschlossen.


Eine Gruppe von Aktivist:innen, in der Mitte eine Frau mit Megafon
Quelle: Stefano Oppo via Canva

Der Rückgang des Gender Pay Gaps um 2 Prozentpunkte ist grundsätzlich ein Fortschritt. Vor allem Tarifsteigerungen in Branchen mit einem hohen Frauenanteil, wie dem öffentlichen Dienst, dem Gesundheitswesen oder dem Erziehungsbereich haben dazu beigetragen. Strukturelle Maßnahmen können also wirken – doch es bleibt noch viel zu tun. Während der Pandemie rückten systemrelevante Tätigkeiten in den Fokus, etwa in der Pflege, in den Kitas oder im öffentlichen Dienst. Die Diskussion über Gehälter in diesen Bereichen machte Anpassungsbedarfe deutlich und offenbarte einen breiten gesellschaftlichen Konsens für höhere Gehälter in diesen Berufen. Das war bei den Tarifverhandlungen der letzten Jahre förderlich.


Bewusstsein für den Gender Pay Gap: Ein geteiltes Bild


Die Wahrnehmung des Gender Pay Gaps im Allgemeinen ist jedoch gespalten. Während viele Frauen die Lohnlücke als strukturelles Problem erkennen, zweifeln rund 50 Prozent der Männer daran, dass es überhaupt eine geschlechtsspezifische Benachteiligung gibt. Das zeigt eine aktuelle Befragung von PwC Österreich. 52 Prozent der österreichischen Männer sehen die Medienberichterstattung als übertrieben an, während nur 28 Prozent der Frauen dieser Meinung sind. Und das obwohl der Gender Pay Gap in Österreich mit 18,3 Prozent noch höher liegt als in Deutschland. Das wirft die Frage auf: Ist ein Aktionstag wie der Equal Pay Day hilfreich, um die Wahrnehmung zu ändern? Bewirkt er etwas? Oder brauchen wir andere Wege, um den Gender Pay Gap wirklich ins Bewusstsein aller Menschen zu rücken?


Strukturelle Ursachen des Gender Pay Gaps


Wenn wir in aktuelle Studien schauen, dann sehen wir zwei Faktoren, die auf den Gender Pay Gap einen bedeutenden Einfluss haben: Neben individuellen Gehaltsverhandlungen spielen auch strukturelle Faktoren eine zentrale Rolle. Eine Analyse des DIW zeigt, dass Frauen überproportional in Teilzeit arbeiten und familiäre Sorgearbeit übernehmen, was sich langfristig negativ auf ihr Einkommen auswirkt.



Besonders in späteren Karrierejahren verstärken sich diese Effekte: Hochqualifizierte Frauen erleben mit zunehmender Berufserfahrung Einkommensnachteile von bis zu 28 Prozent. Hier benötigen wir umgehend eine breitere Diskussion über praktikable Lösungen. Sei es um Frauen von Care-Arbeit zu entlasten, um den Umfang der Teilzeit zu reduzieren oder anspruchsvolle Tätigkeiten und Führung in Teilzeit zu ermöglichen.  


Verhandlungsmacht verstärkt den Gender Pay Gap


Ein weiterer Einflussfaktor sind individuelle Verhandlungen. Besonders dort, wo Gehälter individuell verhandelt werden, fällt die Lohnlücke größer aus. Laut einer IAB-Studie liegt der Gender Pay Gap in Unternehmen mit individuellen Gehaltsverhandlungen um 3 Prozentpunkte höher als in Unternehmen mit standardisierten Gehaltsmodellen. Doch Organisationen fällt es schwer, sich auf verbindlichere Vergütungssysteme einzulassen. Sie fürchten, Flexibilität zu verlieren und umworbene Kandidat:innen nicht mehr gewinnen zu können. Dass diese Flexibilität oft auf Kosten der Fairness geht, übersehen sie dabei. Und das zeigt sich auch beim (sogenannten) bereinigten Gender Pay Gap, der anzeigt, wie groß Verdienstunterschiede innerhalb gleicher Tätigkeiten ist. Er liegt in diesem Jahr laut Statistischem Bundesamt unverändert bei 6 Prozent.


Island: Ein Vorbild für gerechte Vergütung


Dass es anderes geht zeigt Island. Seit 2012 gibt es den Equal Pay Standard ÍST85:2012, der 2017 zur gesetzlichen Verpflichtung für Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitenden wurde. Das Ziel: Ungleichheiten frühzeitig erkennen und beheben, statt sie nachträglich durch Klagen zu korrigieren. Die ISO-Norm ÍST85:2012 legt konkrete Kriterien für die Bewertung von Entgeltsystemen fest. Unternehmen müssen nachweisen, dass sie systematisch und objektiv vorgehen, wenn sie Gehälter festlegen. Dabei dürfen weder Geschlecht noch andere diskriminierende Faktoren eine Rolle spielen. Die Zertifizierung erfolgt über Audits, bei denen überprüft wird, ob die Gehaltsstrukturen transparent und gerecht sind und ob alle Mitarbeitenden unabhängig von ihrem Geschlecht gleichbehandelt werden.

Seit der verpflichtenden Einführung des Systems ist der Gender Pay Gap von 17,2 Prozent (2012) auf 9,4 Prozent (2023) gesunken. Der bereinigte Gender Pay Gap liegt noch bei 3,6 Prozent.


Ein Präzedenzfall für Equal Pay


Dass in Deutschland Handlungsbedarf besteht, zeigt neben der allgemeinen Statistik auch ein aktueller Fall von Daimler Truck: Eine Managerin hat vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart bereits 130.000 Euro zugesprochen bekommen, weil sie für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt wurde als ihre männlichen Kollegen. Doch sie geht weiter und fordert vor dem Bundesarbeitsgericht insgesamt 420.000 Euro.



Dieser Fall verdeutlicht, dass der Gender Pay Gap keine abstrakte Debatte ist, sondern für Frauen reale finanzielle Verluste über ihr gesamtes Berufsleben bedeutet. Gleichzeitig zeigt er, dass bestehende Gesetze nicht ausreichen, um Lohndiskriminierung wirksam zu verhindern. Trotz rechtlicher Möglichkeiten bleibt der Weg zur Gleichbehandlung oft ein individueller Kampf. Unternehmen müssen stärker ihre Pflicht übernehmen, faire Gehaltsstrukturen proaktiv zu gewährleisten, anstatt dass betroffene Frauen ihre Rechte mühsam einklagen müssen.


Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie: weniger Rätselraten


Die Entgelttransparenzrichtlinie der EU bringt frischen Wind in die Debatte um faire Bezahlung. Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden werden verpflichtet, regelmäßig über ihren Gender Pay Gap öffentlich zu berichten und geschlechtsspezifische Unterschiede offenzulegen. Außerdem müssen Unternehmen Bewerbenden künftig bereits frühzeitg mitteilen, welches Einstiegsgehalt oder Gehaltsspanne eine offene Stelle hat. Beschäftigte haben zudem das Recht, das Durchschnittsgehalt vergleichbarer Positionen zu erfahren. Schluss mit dem Rätselraten, ob der Kollege am Schreibtisch nebenan mehr verdient. Wer Lohndifferenzen nicht plausibel begründen kann, muss sie ausgleichen. Kurz gesagt: Die Richtlinie zwingt Unternehmen, ihre Karten auf den Tisch zu legen und faire Vergütungsstrukturen nicht nur zu versprechen, sondern umzusetzen.


Equal Pay Day abschaffen? Nein – aber weiterdenken!


Nun zurück zur Ausgangsfrage: Brauchen wir also den Equal Pay Day noch? Ich bin überzeugt: Solange der Gender Pay Gap existiert, ja. Aber was wir darüber hinaus brauchen, sind strukturelle Veränderungen. Weniger Appelle, dafür mehr breite gesellschaftliche Diskussionen und mehr Verpflichtungen. Die kommenden Jahre müssen endlich echte Fortschritte bringen.


Deshalb mein Appell: Sprecht mehr über faire Vergütung – was bedeutet das für Euch und Eure Organisation? Macht Euch mit der Entgelttransparenzrichtlinie vertraut und setzt sie frühzeitig um. Veränderungen geschehen nicht von allein – sie brauchen mutige Entscheidungen.



 

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Die Autorin:


Nadine Nobile ist New Pay Pionierin durch und durch. Als Organisationsbegleiterin und als Autorin teilt sie ihre Wissen und ihre Erfahrungen gerne mit allen, um New Pay in die Welt hinauszutragen.

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