Wirtschaftliche Entwicklung, gesetzliche Vorgaben, Managementmoden und gesellschaftliche Wertverschiebungen – das sind zentrale Treiber von Vergütungsthemen. Wir fassen in unseren Vergütungstrends 2024 zusammen, was aktuell ansteht und wie Ihr im Sinne von New Pay mit drängenden Herausforderungen umgehen könnt.
Vergütung ist ein Dauerthema mit vielen Facetten. Zuletzt sind Gehaltsdiskussionen hitziger und emotionaler geworden. Dazu hat vor allem die hohe Inflation sowie der anhaltende Arbeits- und Fachkräftemangel beigetragen. Das Thema erhält auch deshalb eine hohe Aufmerksamkeit, weil die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen in Deutschland auf konstant hohem Niveau stagniert. Gleichzeitig beschäftigen konjunkturelle und strukturelle Turbulenzen viele Organisationen. Außerdem kommen arbeitsrechtlich neue Vorgaben auf Unternehmen zu.
An welchen Vergütungsthemen kommen Unternehmen in diesem Jahr nicht vorbei? Und welche Entwicklungen gilt es kritisch zu verfolgen und zu hinterfragen? Im New Pay Collective haben wir 7 Trends im Blick. Manche dieser Trends hatten wir bereits 2023 auf dem Schirm. Andere sind in den Hintergrund gerückt oder neu dazugekommen.
1. Equal Pay
Das Mega-Thema für 2024 und die folgenden Jahre wird Equal Pay. Auf unserem Blog haben wir bereits mehrfach über aktuelle Entwicklungen berichtet und Good-Practice wie beispielsweise das Vorgehen von Vodafone Deutschland vorgestellt.
EU treibt gleiche Entlohnung von Frauen und Männern voran: Die neue EU-Richtlinie zur Gehaltstransparenz ist ein Meilenstein für die gleiche Entlohnung von Männern und Frauen. Während das deutsche Entgelttransparenzgesetz von 2017 sich als zahnloser Tiger herausstellte, hat die EU für die neue Verordnung kräftig die Messer gewetzt. Arbeitgebende müssen in Zukunft nicht nur nachweisen, dass die Vergütung im Unternehmen geschlechtsneutral erfolgt. Auch die dazugehörigen Instrumente, wie die Berichtspflicht, die bereits ab 100 Mitarbeitenden gilt, oder die verpflichtende Entgeltbewertung ab einem Gender Pay Gap von mehr als 5 Prozent, werden dem Thema einen ganz neuen Stellenwert geben. Wer sich einen Überblick über die Richtlinien und die vorgesehenen Maßnahmen verschaffen möchte, dem empfehlen wir diesen Übersichtsartikel von Haufe.
Die meisten Organisationen haben die Tragweite der EU-Richtlinie noch nicht erfasst. Sie müssen das erste Mal 2027 über ihr Entgeltgefälle berichten. Doch das Thema auf die lange Bank zu schieben, ist kontraproduktiv. Denn in den meisten Unternehmen liegt der Gender Pay Gap deutlich über 5 Prozent. Eine Ursache dafür ist der sogenannte „Gender Role Gap“. In den meisten Organisationen ist der Anteil der Männer in den höher vergüteten Positionen überdurchschnittlich. Unternehmen sollten die Jahre 2024 und 2025 deshalb dafür nutzen, um geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede zu identifizieren und abzubauen. Die Reduzierung des Gender Role Gap wird eine längere Umsetzungszeit benötigen.
Unternehmen, die das nicht tun, werden 2027 mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Entgeltgefälle von 15 bis 25 Prozent veröffentlichen müssen (der Blick geht jeweils ein Jahr zurück). Dann könnte man Beschäftigten eine Erklärung schuldig bleiben, warum man nicht schon früher tätig wurde. Und auch wenn Organisationen mit 100 bis 150 Beschäftigte bis 2031 Zeit mit der Berichterstattung haben, stellt sich die Frage, inwieweit sich diese als attraktive Arbeitgeber darstellen können, ohne bei der Berichterstattung mit größeren Organisationen mitzuziehen.
Wer mehr über die Berichtspflicht erfahren möchte, kann in Artikel 9 der EU-Richtlinie nachlesen – und sollte auch den Rest der Richtlinie aufmerksam studieren. Mehr erfahrt Ihr in unserem Impuls- und Dialogformat „Pay Gaps“ und im Workshop „Gehaltstransparenz gestalten“.
2. Prozesssicherheit in unsicheren Zeiten
Die Maßnahmen, die die EU-Richtlinie vorsieht, kommen nicht nur Frauen zugute. Denn die Wege, die zur gleichen Entlohnung von Frauen und Männern führen, schaffen für alle Beschäftigte fairere Bedingungen. Es gilt der Grundsatz: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Durch systematische Funktionsbewertungen wie zum Beispiel in einem Grading-Verfahren wird genau dies möglich. Denn es geht an die Wurzel von Lohngerechtigkeit wie passende Kriterien, die zum Unternehmen und den Stellen und Rollen im Unternehme passen.
Gerade in unsicheren Zeiten vermittelt das Erleben von fairen Vergütungsprozessen Sicherheit. Und wer sich sicher und fair behandelt fühlt, wird mutiger und kreativer agieren als Menschen, die davon ausgehen, dass sie von ihrem Arbeitgebenden über den Tisch gezogen werden könnten. Mehr Sicherheit an dieser Stelle bedeutet ein Plus für Mitarbeitendenbindung und Innovation. Wie Funktionsbewertung im New-Pay-Style gelingen kann, lernt Ihr beim Campusformat „New Grading“.
3. Transparenz PLUS Nachvollziehbarkeit
Eine Funktionsbewertung im Grading zahlt nicht nur darauf ein, eine Vergleichbarkeit zwischen Funktionen und Rollen herzustellen und damit gleichwertige Arbeit im Unternehmen gleich zu entlohnen. Es ermöglicht vor allem Vergütung transparent und nachvollziehbar zu machen, ohne individuelle Gehälter offenlegen zu müssen. Wenn Mitarbeitende verstehen, welche Kriterien greifen, können sie auch nachvollziehen, wonach sich die Höhe der Gehälter bemisst. Wenn sie zudem relevante Informationen erhalten, die helfen, das eigene Gehalt einzuordnen (zum Beispiel Gehaltranges, Gehaltsbudgets sowie relevante Kennzahlen), werden sie einen treffenderen Eindruck darüber erhalten, wie sich das eigene Gehalt im Vergleich zu anderen verhält.
Nicht-Kommunikation und fehlendes Wissen führt hingegen in der Regel zu negativen Einschätzungen. So zeigt etwa eine Befragung von Payscale, dass nur 14 Prozent der Personen, die ein Gehalt über Marktniveau erhalten, sich dessen auch bewusst sind. 86 Prozente gehen hingegen davon aus, ein marktübliches Gehalt (44 Prozent) oder ein Gehalt unter Marktniveau zu erhalten (42 Prozent). Bei den Personen, die ein Gehalt auf Marktniveau erhalten, denken 57 Prozent, dass ihr Gehalt unter dem Marktniveau liegt. Diese Annahmen haben einen Einfluss auf die Bindung von Mitarbeitenden. Wer ausschließlich sein eigenes Gehalt kennt, ist schneller bereit sein Unternehmen zu verlassen, als Mitarbeitende, die umfassende Informationen zum Vergütungssystem und den dazugehörigen Prozessen kennen.
Wer sich Transparenz und Nachvollziehbarkeit auf die Fahnen schreibt, sollte heute bereits bei der Ausschreibung von Stellen in Erwägung ziehen, Gehaltsangaben (Spannen oder Mindestgehalt) zu veröffentlichen. Dies wirkt sich vertrauensfördernd aus und sorgt gleichzeitig dafür, einen Eindruck davon zu vermitteln, welchen Anspruch die Stelle zu erfüllen hat. Denn Jobtitel sind in unterschiedlichen Organisationen mit verschiedenen Anspruchs- und Verantwortungsniveau verknüpft. Doch dafür gilt es zu verstehen: Je transparenter ein Vergütungssystem ist, desto mehr müsst Ihr kommunizieren.
Wo Ihr am besten anfangt und wie Ihr am besten kommuniziert, erfahrt Ihr in unserem Inhouse-Format „Transparenz-Nachvollziehbarkeits-Audit“ sowie in unserem Workshop „Vergütung kommunizieren“.
4. Viertagewoche & Co.
Die Diskussion um die Viertagewoche wird auch in 2024 weitergehen. Denn freie Zeit und Erholung sowie Nachhaltigkeit und Achtsamkeit im Arbeitskontext sind für Beschäftige ein hohes Gut. Viele fühlen sich durch Digitalisierung, pandemische Nachwirkungen oder Transformationsprojekte erschöpft. Dass es an den nötigen Rahmenbedingungen mangelt, es an Kita- und Kindergartenplätzen fehlt und die Betreuungszeiten mangelhaft sind, trägt sein Übriges dazu bei.
Gleichwohl wird die Debatte um die 4-Tage-Woche zum Teil sehr emotional und dogmatisch geführt. Das wird weder dem Thema noch der Bedeutung von flexiblen Arbeitszeitmodellen gerecht. Wenn Ihr Euch zukunftsorientiert mit den Möglichkeiten, Chancen und Herausforderungen auseinandersetzen möchtet, empfehlen wir die Lektüre der Bücher von Guido Zander und Martin Gaedt. Wir freuen uns, dass unser Kooperationspartner Intraprenör in Kooperation mit der Initiative „4 Day Week Global“ eine Pilotstudie zur Umsetzung der 4-Tage-Woche in Deutschland durchführen wird. Am besten Du folgst Intraprenör auf LinkedIn, wenn Du dazu auf dem Laufenden bleiben möchtet.
5. Backlash individuelles Leistungsdenken
Kritisch betrachten wir einen Trend, zu individuellem Leistungsdenken zurückzukehren. Während Unternehmen sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich von individuellen Leistungszielen und -boni abwendeten, setzen seit Mitte 2023 wieder mehr Unternehmen darauf. Anfang Dezember machten Medienberichte die Runde, wonach SAP plant, dass Führungskräfte die Mitarbeitenden künftig in die drei Kategorien „Performer“, „Achiever“ und „Improver“ einstufen sollen. Wie viele Unternehmen eine ähnliche Richtung einschlagen, ist noch offen. Uns macht Julia Bangerth, CHRO und stellvertretende Vorstandsvorsitzend von Datev, zumindest mit ihrem LinkedIn-Posting Hoffnung, dass nur ein Teil dem SAP-Beispiel folgt. Das Personalmagazin befragte Persönlichkeiten der HR-Szene zu dem Thema und zeichnet ein gemischtes Bild.
Einige Wissenschaftler:innen winken ab, wenn es um „Performance-Systeme oder gar „forced-ranking-Verfahren“ geht – zum Beispiel Antoinette Weibel, Direktorin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten an der Universität St. Gallen, in diesem Post. Besonders begeistert hat uns der tierisch unterhaltsame Beitrag von Prof. Carsten Schermuly von der SRH Berlin auf LinkedIn. Er führt anhand seiner vier Kaninchen aus, welche Konsequenzen aus individuellem Performance-System entstehen können.
Wie mit dem Fokus auf Individualleistung und dem dadurch resultierenden Konkurrenzdenken zwischen Individuen und Bereichen nachhaltige Lösungen für die Zukunft entstehen sollen, scheinen Unternehmen dennoch zu wenig zu berücksichtigen. Wie man ein nachhaltiges Performance Management aufbauen kann, erfahrt Ihr in diesem Campusformat.
6. Überhitzung am Benefitsmarkt
Mit gemischten Gefühlen betrachten wir auch die zunehmende Anzahl von Plattformen mit Benefit-Angeboten für Mitarbeitende. Auf der Zukunft Personal Europe im vergangenen September hat uns die Vielfalt an Anbietern fast erschlagen. Grundsätzlich sehen wir es positiv, dass Organisationen ihren Mitarbeitenden Benefits anbieten. Aber es ist befremdlich, wenn die Liste mit Benefits im Stelleninserat länger als die Aufgabenbeschreibung ausfällt. Da fragen wir uns: Warum sollen sich die Mitarbeitenden für das Unternehmen entscheiden, wegen der Benefits oder der Aufgabe?
Besonders kritisch betrachten wir Angebote, die Unternehmen als Mehrwert für Mitarbeitende anpreisen, aber sich bei genauerem Hinsehen, als Schuldenfalle entpuppen. Sogenannte Flexpay-Modelle ermöglichen beispielsweise Mitarbeitenden bereits vor der Gehaltszahlung auf einen Teil ihres Entgelts zuzugreifen, um mit diesem dann auf den Partnerseiten des Portals einzukaufen. Wenn sie einen Teil des monatlichen Gehalts bereits im Vorfeld der eigentlichen Zahlung für Konsum ausgeben, wie sieht dann erst der Folgemonat aus? Wir empfehlen Unternehmen, sich bei der Auswahl der Benefits zwei Fragen zu stellen: Welche Benefits passen zu unseren Werten? Und wie gestalten wir die Kommunikation zu den Benefits so, dass diese Werteorientierung für die Mitarbeitenden erfahrbar wird.
Wer Mitarbeitendenbindung über Benefits stärken möchten, sollte sich zudem mit situativen Benefits beschäftigen. Das sind Benefits, die Organisationen in bestimmten Situationen anbieten. Eine Ladung Eis für das gesamte Team an besonders heißen Tagen, ein extra Tag Urlaub, wenn Mitarbeitende eine private Herausforderung zu meistern haben oder ein Goodie für Teams, die zum Beispiel in besonders intensiven Projektphase stecken. Der Fokus liegt hier auf der Fragestellung: Was können wir unseren Mitarbeitenden in besonderen Situationen Gutes tun? Das fördert die Wahrnehmung: „Wir werden gesehen, ernstgenommen und wertgeschätzt“.
Dies bestätigt die Forschung rund um die Wirkung von Benefits. Mitarbeitende sind dann dankbar für Benefits, wenn sie als neu erachten, wie Ralf Lanwehr, Professor für Internationales Management an der Fachhochschule Südwestfalen, in diesem LinkedIn-Beitrag erklärt. Ständig neue Benefits einzuführen, kann kontraproduktiv sein. Denn ein unübersichtliches Überangebot wird Mitarbeitende eher irritieren als motivieren. Weitere Erkenntnisse zu Benefits findet Ihr in unserem Benefits-Report. aus dem vergangenen Jahr.
7. Ganzheitliche Vergütung
Gehalt ist nicht alles! Diese Erkenntnis sagt man gern dahin, ohne dies bei der Gestaltung von Vergütungssystemen zu berücksichtigen. Doch eine europaweite Befragung der Initiative „We are developers“ unter Softwareentwickler:innen und IT-Expert:innen ergab: Zeitliche Flexibilität, spannende Aufgaben und gute Ausstattung sind dieser Zielgruppe besonders wichtig. Außerdem zieht ein großer Teil sinnstiftende Arbeit monetärer Entlohnung vor. Ihr Fokus liegt auf der Suche nach langfristiger Zufriedenheit und Engagement.
Was wir außerdem in der Praxis beobachten: Aspekte, die Mitarbeitenden ein Sicherheitsgefühl, Verlässlichkeit und individuelle Wertschätzung vermitteln, kommen an. Hier sind vor allem Führungspersonen und -rollen gefragt. Genauso wie bei einer Kommunikation, die Orientierung und Klarheit verschafft. Wenn Ihr tiefer eintauchen möchtet, wie Ihr Arbeitszufriedenheit ganzheitlich stärken könnt, empfehlen wir unser Campus-Format Geld - Wertschätzung – Sinn.
Über die Autor:innen
Das New Pay Collective besteht aus Menschen, die sich in Organisationen oder als Organisationsbegleiter:innen dafür einsetzen, New Pay bekannter zu machen. Gemeinsam reflektieren und entwickeln wir Vergütungssysteme weiter.
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