Für manche mag dieser Leitsatz irritierend klingen. Zumindest ist er erklärungsbedürftig. Zu den sieben Dimensionen von New Pay gehört die Dimension Transparenz. Aber was steckt eigentlich genau hinter Nachvollziehbarkeit? Wie hängt das mit Transparenz zusammen? Und warum könnte das wichtiger sein, als ein möglichst perfektes Vergütungssystem?
Um den dritten Leitsatz des New Pay Manifests zu verstehen, müssen wir ein bisschen ausholen: Transparenz ist eine wichtige Essenz von Fairness. Aktuell gibt es viele Debatten um Gehaltstransparenz, zum Beispiel um Fairnessschieflagen wie (Gender Pay) Gaps zu begegnen. Doch je mehr man in das Thema eintaucht, desto klarer wird: Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck.
Für transparente Gehälter braucht es immer ein Wofür. Und dieser Grund muss für die Menschen in der Organisation attraktiv sein. Ein solches Wofür besteht beispielsweise, wenn Teams die Verantwortung fürs Recruiting übernehmen und Gehaltsinformationen bei der Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten oder eine Kandidatin benötigen. Manche Teams kommen dann zum Schluss, dass es umfassende Gehaltstransparenz für alle braucht. Andere geben diese Entscheidungskompetenz an einzelne Personen ihres Teams. In beiden Fällen nimmt der Grad an Transparenz zu.
Was Nachvollziehbarkeit ausmacht
Transparente Gehaltsspannen und Gehälter von einzelnen Mitarbeitenden – damit hat sich die Dimension Transparenz noch nicht erschöpft. Ob Beschäftigte ihr Gehalt und das Vergütungssystem ihres Unternehmens als fair empfinden, hängt vor allem von einem Faktor ab: der Nachvollziehbarkeit. Dafür müssen Mitarbeitende zunächst verstehen, nach welchen Regeln das Gehaltssystem funktioniert. Für Nachvollziehbarkeit ist zudem entscheidend, dass man weiß, wie und warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden.
Transparenz bezieht sich also immer darauf, wie klar und vor allem frei zugänglich Informationen und Prozesse sind. Mit Transparenz kann man Vertrauen schaffen, da diejenigen, die über Informationen verfügen, sehen, was passiert. Das übergeordnete Ziel besteht dabei immer auch darin, dass keine Spekulationen, Gerüchte oder Narrative entstehen, die nicht den Tatsachen entsprechen. Doch Mitarbeitende müssen auch verstehen, warum etwas passiert oder passiert ist – also warum bestimmte Regeln gelten oder wie sie das Unternehmen genau anwendet. Dazu gehören Vorüberlegungen, Werte und Prinzipien, die sich in den transparenten Informationen spiegeln sollten und als Erklärung dienen können.
Wie Transparenz und Nachvollziehbarkeit zusammenhängen
Zwischen Transparenz und Nachvollziehbarkeit gibt es also einen kleinen aber feinen Unterschied. Man kann transparent sein, ohne dass etwas nachvollziehbar ist. So wirken häufig offene Gehaltsdaten, die nicht in einen bestimmten Kontext eingebettet sind. Das Unternehmen Buffer veröffentlicht zum Beispiel die Gehälter aller Mitarbeitenden in einer frei verfügbaren Liste. Wer diese Liste heranzieht und einen Vergleich zum eigenen Arbeitsumfeld zieht ohne den Kontext wie Branche, Kultur, Unternehmensstandort und genaue Tätigkeit einzubeziehen, kann mit dieser Art der Transparenz wenig anfangen oder sie vielleicht sogar falsch einordnen.
Dennoch sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Beide erhöhen das Fairnessempfinden und greifen dabei ineinander. Transparenz kann dazu beitragen, die Nachvollziehbarkeit zu erhöhen, weil viele Informationen eine wichtige Grundlage für das Verständnis von Gehaltsdaten oder Strukturen und Prozessen darstellt. Und wenn etwas nachvollziehbar ist, kann es die Transparenz fördern. Denn Unternehmen können mehr Informationen bereitstellen, wenn sie auf vorbereitete Mitarbeitende trifft, die diese auch verstehen und einordnen können.
Warum Perfektion Nachvollziehbarkeit schwächt
In der Praxis beobachten wir aber häufig ein Dilemma: Projekte zur Neugestaltung des Vergütungssystems verlieren sich im Perfektionismus. Das ist nur allzu verständlich. Es kommen verschiedene Fälle auf den Tisch, die man in den Regeln, Strukturen und Prozessen berücksichtigen möchte. Schließlich soll das System Akzeptanz finden und möglichst wenig Fairnessdebatten auslösen. Doch je komplexer ein Vergütungssystem wird, desto schwerer ist es zu durchschauen und konsistent anzuwenden. Organisationen verlieren sich dabei leicht in interner Bürokratie. Und hinzu kommt: Die Nachvollziehbarkeit bleibt auf der Strecke.
Mit dem 3. Leitsatz im New Pay Manifest möchten wir Euch die Zielrichtung zeigen: Nachvollziehbarkeit geht vor Perfektion – also vor Ausdifferenzierung bis ins kleineste Detail. Im Zweifelsfall ist es also wichtiger und richtiger, Einfachheit anzustreben, um das Verständnis der Vergütungsregeln nicht zu gefährden. Das ist gleichwohl ein Balanceakt. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Kriterien für die Bewertung von Funktionen und Rollen festzulegen. Diese sollten klar zeigen, was die Organisation schätzt und welche Wertbeiträge sie entlohnen möchte. Doch wie viele Kriterien braucht es? Welche und wie viele Ausprägungsstufen? Dabei ist die wichtigste Frage: Wie viel Differenzierung ist wirklich nötig und sinnvoll? Wählt lieber weniger Kriterien, dafür die richtigen. Entscheidet Euch für weniger Ausprägungen, dafür klare Abgrenzungen. Nehmt Komplexität raus, wo es geht. Je mehr Differenzierung, desto komplexer und weniger nachvollziehbar wird ein Vergütungssystem.
Sicher ist aber auch: Auf die Frage, wie viel Differenz zwischen den Gehältern für das Wir noch gut ist und was diese Differenz ausmacht, kann es weder die eine richtige Antwort geben noch eine, die für alle Zeiten passt. Und noch etwas gilt es zu beachten: Woran können Beschäftigte ihre persönliche Entwicklung ablesen, wenn es weniger Differenzierung über Geld und Statussymbole gibt? Je weniger Differenzierungsregeln es gibt, desto mehr verlagert sich diese Aufgabe von Vergütung in persönliche Gespräche oder liegt in der Selbstverantwortung der Beschäftigten.
Hier findest Du das komplette New Pay Manifest. Wenn Du Dich fragst, wie gut es in Deinem Unternehmen um Nachvollziehbarkeit bestellt ist, dass könnte unser Audit Transparenz & Nachvollziehbarkeit etwas für Dich sein.
Über die Autorin
Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.
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