Gehaltstransparenz-Check: Wie gut sind Organisationen auf die EU-Transparenzrichtlinie vorbereitet? Um das herauszufinden, führten wir im Sommer eine Befragung unter HR-Verantwortlichen und Geschäftsführungen in Unternehmen verschiedener Größen und Branchen durch. Das Ergebnis: Es gibt nicht nur großen Informationsbedarf, sondern vor allem auch strategischen Handlungsbedarf.
Gehaltstransparenz wird in den kommenden Jahren zu einem der zentralen Themen für HR-Teams. Immer mehr Mitarbeitende fordern Offenheit und Fairness bei der Vergütung. Gleichzeitig hat die EU mit ihrer Entgelttransparenzrichtlinie im vergangenen Jahr einen rechtlichen Rahmen gesetzt, den die EU-Länder bis 2026 in nationales Recht umsetzen müssen. Die vorliegenden Ergebnisse unserer Befragung geben Aufschluss darüber, wie gut sich Organisationen über die Anforderungen informiert fühlen, welche Maßnahmen sie bereits ergriffen haben und welche Chancen und Herausforderungen sie sehen.
Was die EU-Transparenzrichtlinie vorsieht
Die EU-Richtlinie verfolgt ein klares Ziel: Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Dieses Ziel finden wir bereits in den sogenannten römischen Verträgen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957. Doch die meisten EU-Länder weichen von dieser Zielsetzung immer noch stark ab – der Gender Pay Gap ist zu hoch. Deshalb beschloss die EU im vergangenen Jahr die Vorgaben durch die Entgelttransparenz-Richtlinie zu forcieren.
Um dies zu erreichen, setzt die EU auf drei zentrale Elemente:
Vorgabe klarer Entgeltstrukturen: Unternehmen müssen objektive und geschlechtsneutrale Kriterien für die Vergütung festlegen und diese Mitarbeitenden und Bewerbenden gegenüber transparent machen.
Umfassende Transparenzpflicht: Informationen wie Einstiegsgehälter und Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen sollen Unternehmen klar kommunizieren. Aber auch Durchschnittseinkommen und Gender Pay Gaps innerhalb vergleichbarer Tätigkeitsgruppen müssen sie offenlegen.
Verpflichtende Maßnahmen und Sanktionen: Können Unternehmen vorhandene Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht anhand von objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien erklären, ist eine gemeinsame Lohnbewertung mit der Arbeitnehmendenvertretung verpflichtend. Ansonsten drohen Sanktionen wie Bußgelder oder der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Darüber hinaus haben Mitarbeitende die Möglichkeit Schadensersatzklage einzureichen.
Informationslücken in den Unternehmen
Unsere Umfrage zeigt, dass viele Unternehmen noch nicht ausreichend auf die Anforderungen der EU-Richtlinie vorbereitet sind. Nur knapp 30 Prozent der befragten Organisationen gaben an, sich „sehr gut“ oder „gut“ informiert zu fühlen. Dabei greift die Berichtspflicht über das Entgeltgefälle bereits für das Geschäftsjahr 2026. Und das betrifft alle Organisationen mit mehr als 150 Mitarbeitenden. Es bleibt also wenig Zeit, um erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.
Vorbereitungsstand: Maßnahmen bleiben aus
Nur 20 Prozent der Unternehmen fühlen sich „gut“ oder „sehr gut“ vorbereitet. 44 Prozent gaben an, „teilweise vorbereitet“ zu sein, während sich 37 Prozent „wenig“ oder „gar nicht vorbereitet“ sehen. Diese Ergebnisse verdeutlichen: Es fehlt an konkreten Schritten, um die Anforderungen zu erfüllen.
Zu den bereits umgesetzten Maßnahmen gehören:
Analyse von Gehaltsdaten und -strukturen (56 Prozent)
Identifikation von Handlungsbedarfen (28 Prozent)
Verbesserung der internen Kommunikation (27 Prozent)
Anpassung von Gehaltsstrukturen (22 Prozent)
Schulung von Führungskräften (11 Prozent)
Viele Unternehmen stehen also erst am Anfang der Umsetzung. Besonders die systematische Auseinandersetzung mit der Richtlinie, ihren Anforderungen und den daraus abzuleitenden Handlungsbedarfen fand bislang nur bei etwa einem Viertel der Organisationen statt (28 Prozent). Geschäftsführungen und HR-Leitung wären gut beraten, das Thema auf die strategische Agenda zu nehmen.
Befürchtungen: Bürokratie und Widerstand
Die größten Befürchtungen, die Unternehmen bei der Umsetzung der Richtlinie haben, sind der bürokratische Aufwand (63 Prozent) und kulturelle Widerstände, von Führungskräften und Mitarbeitenden (48 Prozent). Auch mangelnde Informationen und Schulungen (44 Prozent) sowie Datenschutz (43 Prozent) sehen Unternehmen häufig als Schwierigkeit.
Licht- und Schattenseiten der Richtlinie
Zwei Drittel der Befragten glauben, dass die EU-Richtlinie zu mehr Lohngerechtigkeit beitragen wird (66 Prozent). Mehr als die Hälfte geht davon aus, dass sie zu einer stärkeren Transparenzkultur führt und 43 Prozent erwarten, dass sie das Vertrauen der Mitarbeitenden stärkt.
Gleichzeitig sehen 51 Prozent den hohen administrativen Aufwand als Problem. Rund 50 Proeznt befürchten, dass Mitarbeitende in Zukunft höhere Gehälter fordern werden, wenn die Gehaltsstrukturen transparenter sind. Zudem glauben 46 Prozent, dass es durch mehr Transparenz zu Spannungen innerhalb der Belegschaft kommen könnte.
Besonders Unternehmen, die stark auf individuelle Gehaltsverhandlungen setzen, betrachten die Richtlinie skeptisch. Viele Führungskräfte befürchten, dass sie den individuellen Verhandlungsspielraum einschränkt. Auf der anderen Seite sehen viele Organisationen die Chance, sich durch Transparenz als moderner und fairer Arbeitgeber zu positionieren.
Das ambivalente Bild zeigt sich etwa bei der Frage, inwieweit die Umsetzung der Richtlinie und die damit verbundenen Anforderung den Unternehmen Sorge bereiten: 45,3 Prozent beantworteten die Frage mit einem Ja. Doch die Mehrheit von 54,7 Prozent ist zuversichtlich und verneinte die Frage. Dies bestätigt auch die Frage nach der grundsätzlichen Einschätzung der Richtlinie: Hier geben 54,8 Prozent der Befragten an, dass die Umsetzung zwar schwer wird, aber die Zielsetzung richtig sei.
Fazit: Der Weg zu Gehaltstransparenz ist steinig, aber lohnt sich
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Unternehmen die Notwendigkeit der EU-Transparenzrichtlinie erkennen, aber noch beträchtliche Herausforderungen bewältigen müssen. Technische, rechtliche und kulturelle Barrieren machen es schwer, die Anforderungen zu erfüllen. Doch langfristig bietet mehr Gehaltstransparenz die Möglichkeit, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu stärken und die Lohngerechtigkeit zu verbessern. Unternehmen, die jetzt proaktiv handeln und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, werden von den Vorteilen einer transparenten Vergütungskultur profitieren.
Kommunikation ist der Schlüssel: Neben der strukturellen Anpassung der Gehaltsmodelle ist es essenziell, die interne Kommunikation zu stärken. Mitarbeitende sollten verstehen, warum Gehaltstransparenz wichtig ist und welchen Mehrwert sie bringt. Ohne eine transparente und klare Kommunikation besteht das Risiko von Missverständnissen und Vertrauensverlusten. Da Organisationen in der Regel nur sehr rudimentär über Vergütung kommunizieren, gilt es hier Kompetenz aufzubauen und Kommunikation so zu gestalten, dass Beschäftigte das Vergütungssystem und die relevanten Vergütungskriterien nachvollziehen können. Denn langfristig kann nur durch mehr Transparenz mehr Fairness und Vertrauen innerhalb der Organisation entstehen.
Über die Befragung
Die Befragung hat das New Pay Collective von Mitte Juni bis Ende August 2024 durchgeführt. Insgesamt nahmen 404 Personen an der Befragung teil, darunter 262 aus Deutschland, die entweder im HR-Bereich arbeiteten oder Teil der Geschäftsführung waren.
Über die Autor:innen
Das New Pay Collective besteht aus Menschen, die sich in Organisationen oder als Organisationsbegleiter:innen dafür einsetzen, New Pay bekannter zu machen. Gemeinsam reflektieren und entwickeln wir Vergütungssysteme weiter.
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