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Stefanie Hornung

„Es demotiviert, wenn Leistung nicht gesehen und gewürdigt wird“

Aktualisiert: 27. Sept.

Arineo ist ein junger IT-Dienstleister und macht einiges anders als andere. 2019 als „Employee-Owned Company“ gegründet, geht das Unternehmen demnächst ganz in Verantwortungseigentum über. Klassische Führungspositionen gibt es ebenso wenig wie individuelle Boni, berichtet Co-Geschäftsführer Marko Weinrich im Interview. Ein Gespräch über Leistung, Kompetenzentwicklung und die passende Vergütung.


Marko Weinrich von Arineo krempelt die Ärmel hoch
Arineo will alle Prozesse und Praktiken abschaffen, die Mitarbeitende demotivieren. Foto: Marko Weinrich, Arineo
Marko, die schwierigste Frage zuerst: Was heißt Leistung für Euch bei Arineo?

Leistung ist immer das, was bei Kunden ankommt. Der Beitrag dazu kann bei den Mitarbeitenden sehr unterschiedlich sein. Zum einen sind da diejenigen in der Verwaltung, die dafür sorgen, dass Projektmitarbeitende uns als guten Arbeitgeber wahrnehmen. Und zum anderen diejenigen, die direkt mit den Kunden arbeiten. Es gibt Abstufungen – je nach Erfahrung, Qualifikation, Einsatz- und Verantwortungsbereitschaft. Das zeigt sich etwa darin, wie gefragt Mitarbeitende bei Kunden oder wie breit sie inhaltlich aufgestellt sind.


Lass uns das noch ein wenig weiter aufdröseln. Leistung ist also für Dich der Outcome beim Kunden. Was ist dafür aus Deiner Sicht notwendig – in Bezug auf die Art der Zusammenarbeit und die Arbeitsqualität?

Wir werden in Kundenprojekten nach Zeit bezahlt – auf Basis von Tagessätzen. Das heißt, wer mehr Zeit beim Kunden verbringt, erhöht den Umsatz. Aber unsere Mitarbeitenden sind nie allein beim Kunden unterwegs. Je nach Kundenprojekt und dessen Größe arbeiten mindestens drei Kolleginnen und Kollegen, manchmal auch 30 bis 40 zusammen. Wir brauchen dafür einen Mix: Mitarbeitende, die sich für den Projekterfolg verantwortlich fühlen, andere führen können, Konflikte managen, Teams gut zusammensetzen können und solche, die die Fachexpertise einbringen und die IT-Lösungen verstehen. Am Ende ist das immer eine Teamleistung: Wir können nur als Team erfolgreich sein.


Wir sind mit Mitarbeitenden gesegnet, die sehr genau arbeiten wollen. Das hilft aber nicht in jeder Situation eines Projekts. Das heißt, wir brauchen auch welche, die gegebenenfalls ein bisschen weniger detailorientiert sind, sich auf den Fortschritt konzentrieren und Kunden dazu bringen können, dass auch sie sich weiterentwickeln wollen.


Arineo versteht sich als kollegiale Organisation. Welche Führungsrollen gibt es bei kollegialer Führung und was müssen die Personen leisten, die diese Rollen innehaben?

Wir haben die Aufgaben klassischer Führung in vier Cluster und entsprechende Verantwortlichkeiten zerlegt: Zum einen sind da die Vertragspartner. Sie kümmern sich um die persönliche Betreuung der Mitarbeitenden, die Förderung ihrer individuellen Entwicklung und die Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses. Ihre Aufgabe ist es also auch, dass die Beschäftigten ihren Arbeitsvertrag verstehen und ein angemessenes Gehalt bekommen. Damit haben sie quasi eine Form von disziplinarischer Führung. Das sind etwa 50 der rund 400 Beschäftigten, die die Geschäftsführung ernennt. Alle haben einen Vertragspartner, den sie selbst wählen können. Die Mitarbeitenden können auch den Vertragspartner wechseln, wenn sie jemand finden, der oder die noch Kapazitäten hat.


Die zweite Führungsrolle übernehmen die Auslastungskoordinatoren. Sie sind für die Einsatzplanung in den Projekten zuständig. Sie müssen erkennen, wer überlastet oder unterfordert ist und falls nötig die Aufgaben entsprechend verteilen. Außerdem gibt es die Teamentwicklungskoordinatoren, die für die Kompetenzentwicklung in einer Basisgruppe verantwortlich sind. Jeder Mitarbeitende ist genau einer dieser Gruppen zugeordnet. Eine vierte Führungsrolle übernehmen die Basisgruppenkoordinatoren. Sie kümmern sich um die Koordination und Organisation der gesamten Gruppe und sorgen dafür, dass notwendige Entscheidungen getroffen werden.


Außer den Vertragspartnern bestimmen die Mitarbeitenden der jeweiligen Gruppen die Cluster-Verantwortlichen selbst. Die Rollen können wechseln, aber meistens sind sie recht konstant. Man kommt leichter aus so einer Führungsrolle raus als aus einer klassischen Führungsrolle, wenn man möchte. Oftmals ist die Cluster-Verantwortung nur eine Rolle neben weiteren fachlichen Aufgaben.


Wie kann man sich so eine Basisgruppe vorstellen – sind das quasi Abteilungen?

Ja, so ähnlich. Wir haben die Basisgruppe Zentralfunktion bestehend aus Mitarbeitenden, die sich mit der Finanzbuchhaltung, Kostenrechnungen oder HR beschäftigen. Und dann gibt es noch Kreise, in denen die Beschäftigten arbeiten, die meistens projektbezogen sind. Wer in einer Basisgruppe mit bestimmten Prozesskenntnissen ist, zum Beispiel als Kundenberater mit tiefem Produktionsplanungswissen, arbeitet oft nicht mit Kollegen der eigenen Basisgruppe zusammen, sondern mit denen aus anderen, die auch in diesem Projekt mitarbeiten. Solche Projekte bezeichnen wir mitunter als Kreise.


Nehmen wir als Beispiel die Vertragspartnerinnen und -partner: Zeigt sich an der Zahl der Mitarbeitenden, die diese für sich auswählen, wie gut er oder sie die Rolle ausfüllt?

Ja, genau. Und man erkennt auch: Die guten Vertragspartner kümmern sich ums Konfliktmanagement. Es gibt immer Konflikte. Dann ist es wichtig, reinzugehen und für Klarheit zu sorgen, damit der Konflikt nicht weiter schwelen kann. Das ist ein Dauerthema bei uns in der Organisation, bei dem HR sehr gut unterstützt. Sie gehen gemeinsam mit den Vertragspartnern mögliche Gründe durch. Oft geht es darum, dass die Leistung irgendwie gerade nicht stimmt. Das kann persönliche Gründe haben, aber auch an den Fähigkeiten oder dem Einsatzwillen liegen. Zur Not müssen wir uns auch von Beschäftigten trennen.


Wie ist dieses Organisationsmodell der kollegialen Organisation entstanden?

Im Lauf meines Berufslebens kamen immer wieder Mitarbeitende mit Rückfragen zu Entscheidungen zu mir und wollten wissen, was sie tun sollen. Da habe ich sie gefragt, wie sie entscheiden würden. Und ich gab einfach frei, was sie sich schon gedacht hatten. Dieses nach oben Delegieren bringt gar nichts. Als Projektdienstleister merkt man schnell, dass man Aufgaben so verteilen sollte, dass sie diejenigen übernehmen, die das am besten können. In der Vergangenheit habe ich selbst viele Leute eingestellt, die gar nicht für die Jobs gepasst haben. Das war bitter für mich und ich lasse es mittlerweile. Da muss man sich zurücknehmen und erkennen, was man gut kann und was man nicht so gut kann. Ich habe nicht so viel Empathie, aber eine hohe Durchsetzungsstärke. Ich sehe das große Ganze und verliere die Ziele nicht aus dem Blick, den Einzelnen manchmal schon.


Vor diesem Hintergrund haben wir zu Beginn von Arineo „Das kollegial geführte Unternehmen“ von Bernd Österreicher und Claudia Schröder gelesen. Das wollten wir für uns adaptieren und sind damit total auf die Nase gefallen. Es ist ein völliges Chaos entstanden. Manche Mitarbeitende an anderen Standorten haben gesagt, wir machen jetzt unser eigenes Ding. Da mussten wir reingrätschen. Kollegiale Führung braucht Regeln und einen gewissen Rahmen. Wir haben dann Mitte 2020 mit einem agilen Projekt das neue Modell gestartet. Dabei war und ist das Grundprinzip der kollegialen Organisation von Arineo, alles abzuschaffen, was die Mitarbeitenden demotiviert. Zum Beispiel indem wir Führung so gestalten, dass niemand deswegen kündigen möchte.


Und nun funktioniert das Organisations- und Führungsmodell reibungslos?

Wir müssen die Führungsrollen laufend schulen. Zum Beispiel hatten wir mit der richtigen Auslastung zuletzt ein Problem: Es ist uns nicht ganz gelungen, die weniger ausgelasteten Kolleginnen und Kollegen in neue Projekte zu bringen. Vor Kurzem hatten wir zudem eine Schulung für die Vertragspartner über unsere Zahlungsströme. Dabei ging es zum Beispiel darum, welche Auswirkungen es hat, wenn manche Mitarbeitende weniger Rechnungen stellen als gedacht und wann der Punkt erreicht ist, dass unsere Kosten zu hoch werden. Es ist wichtig, dass alle die Zusammenhänge im Unternehmen verstehen und interpretieren können.


Was ist der Unterschied zwischen Selbstorganisation und kollegialer Organisation?

Die kollegiale Organisation heißt nicht, dass jeder sich aussucht, was er oder sie macht. Das ist immer noch der Tauschhandel Geld gegen Arbeit. Wir haben eine ganz klare Vorstellung davon, wie wir uns im Unternehmen verhalten, wie wir miteinander umgehen, wie wir Konflikte klären. Bei uns sind die Mitarbeitenden nach wie vor abhängig beschäftigt. Kürzlich mussten wir in einer Schulung erklären, was das heißt. Zum Beispiel, dass nicht jeder einfach zuhause arbeiten kann, wenn es wichtig für die Organisation ist, im Büro zu sein.


Teilen alle Mitarbeitenden bei Arineo das Bild von Leistung, das Du beschrieben hast?

Das ist natürlich eine fortlaufende Herausforderung. Die Verantwortung dafür liegt bei der Geschäftsführung, den Führungsrollen und bei HR. Zunächst kommt es darauf an, die richtigen Leute einzustellen. Es gibt eine Ersteinschätzung, die wir dann nach einiger Zeit gegebenenfalls noch etwas korrigieren. Alle Mitarbeitenden sollten dann die Entwicklungsmöglichkeiten und Anforderungen dafür kennen. Und wissen, wo sie selbst stehen.


Wie thematisiert Ihr die Art von Leistung, von der Ihr mehr haben wollt?

Da gibt es mehrere Ansätze. Wir nutzen als Tool zur Selbst- und Fremdeinschätzung, das „Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung“, kurz BIP. Jeder Mitarbeitende kann das BIP nutzen. Für manche Rollen ist es vorab Pflicht – und dient als Informationsquelle, ob die Anforderungen an die Rolle zu den eigenen Stärken passen. Die Mitarbeitendengespräche führen die Vertragspartner. Bei Bedarf unterstützt durch Kolleginnen und Kollegen aus HR, die einen psychologischen Background haben. HR hat außerdem Development Center für verschiedene Führungsrollen wie Vertragspartner sowie für Projektleiter entwickelt. Ein DC ist ähnlich aufgebaut ist wie ein Assessment Center, aber nicht für die Auswahl von bestimmten Personen für eine Beförderung gedacht ist, sondern zur persönlichen Standortbestimmung.


Ein Mann und eine Frau schauen auf ein Tablet - im Hintergrund eine Gruppe Beschäftigter an einem Tisch
Arineo investiert stark in die Entwicklung der Mitarbeitenden - und in Instrumente, die ihnen diese transparent machen. Foto: Arineo
Wie läuft so ein Development Center genau ab und wer kann es durchlaufen?

Man kann selbst sagen, dass man sich weiterentwickeln will, oder die anderen schlagen jemand vor. Prinzipiell schauen wir alle – die Vertragspartner, die Cluster-Verantwortlichen und HR – regelmäßig darauf, wo jemand steht und wie sich die Person verbessern kann. Wer Vertragspartner oder Projektleiter werden will, muss ins Development Center. Und da merkt man dann relativ schnell, ob man das kann oder nicht. Manchmal kommt auch heraus, dass man noch etwas lernen und eine Schulung dafür besuchen muss.


Das Development Center dauert einen ganzen Tag – und das ist fordernd. Man lernt eine Menge über unsere Anforderungen. Zum Beispiel bekommt man einen Konflikt geschildert und muss in einem Rollenspiel zeigen, wie man damit umgehen würde. Oder man muss eine Präsentation bei einem fiktiven Kunden halten, der sehr unzufrieden ist. Bei Schulungen für Auslastungskoordinatoren geht es beispielweise darum, wie man Mitarbeitende, die nicht so ausgelastet sind, dazu motiviert, das Projekt zu wechseln und sich stärker einzubringen.


Woran können Beschäftigte dann also ablesen, dass sie sich entwickelt haben: an der Teilnahme am Development Center? Durch die Jobtitel? Durch die Höhe des Gehalts?

Offizielle Titel gibt es bei uns außer Geschäftsführung, Prokuristen und Personalleitung nur wenige. Entwicklung spiegelt sich im Gehalt – und an der Stimme, die man im Unternehmen hat. Wer leistungsbereit ist, kann mehr Verantwortung übernehmen und ist dadurch sichtbarer. In regelmäßig stattfindenden Strategiemeetings nehmen die Leistungsträger Einfluss auf die Unternehmensziele. Sie gestalten die Zukunft des Unternehmens.


Diese Mitarbeitenden wollen wir auf keinen Fall verlieren. Wir sind uns der Kosten bewusst, die das nach sich ziehen würde. Deshalb zahlen wir ein gutes Festgehalt für gute Arbeit. Das sind teils schon hohe Gehälter. Aber natürlich muss das insgesamt ins Gehaltsgefüge passen. Die Gehaltsspanne vom niedrigsten zum höchsten Gehalt liegt etwa bei 1:8.


Welche Kriterien setzt Ihr für die Bewertung gehaltsrelevanter Leistung an?

Wir haben fachliche und verhaltensbezogene Kriterien: Führung, Verantwortung, unternehmerisches Handeln, Umgang mit Kunden und Fachexpertise. Diese Kriterien haben wir genau definiert, in Tätigkeitsbadgets, Fachbadgets und Qualifikationen zerlegt und in unserem Rollen- und Karrieremodell abgebildet. Führungsrollen sind nicht per se besser bezahlt als fachliche Rollen. Das heißt, wer Führung abgibt, um sich stärker der Projektarbeit zu widmen, verliert kein Ansehen und kein Geld. Wir haben Kollegen, die keinerlei Führungsaufgabe haben, aber trotzdem mit ihrem Gehalt recht nahe bei der Geschäftsführung liegen.



 

Leistung soll sich lohnen! Doch was Leistung eigentlich ist, darüber gehen die Meinungen und Bilder meist weit auseinander. Was macht (nachhaltige) Leistung in Eurer Organisation aus? Wie könnt Ihr Euer Zukunftsbild in einem nachhaltigen Performance Management verankern?  






 


Wie läuft die Eingruppierung ab – also wer bewertet die Leistung?

Wir haben einen transparenten und partizipativen Vergütungsprozess für die Anpassungsrunden etabliert. Die Vertragspartner machen ein Angebot und in fachbezogenen Gruppen vergleichen sie gemeinsam mit HR und der Geschäftsführung die Mitarbeitenden, die ähnliche Arbeit machen – und schauen, dass die individuellen Gehaltsanpassungen ins Gefüge passen. Falls die Mitarbeitenden das Gefühl haben, sie werden nicht richtig eingeschätzt, können sie sich Hilfe holen. Das letzte Wort haben Geschäftsführung und HR.


In diesen Vergleichsrunden kann sich herausstellen, dass wir Mitarbeitende für ein zu geringes Gehalt eingestellt haben oder dass sie sich in einem Jahr unglaublich stark entwickeln. Dann sind hohe Gehaltssprünge möglich – das ist nicht gedeckelt. Wir hatten schon Steigerungen von 30 bis 40 Prozent. Wenn die Leistung abgenommen hat, müssen wir darüber auch sprechen – entweder darüber, dass für die Person eine Nullrunde ansteht oder ob wir für sie eine neue Aufgabe finden. Der ganze Prozess ist sehr aufwändig, aber so gerecht, wie es eben geht.


Warum verzichtet Ihr dabei auf Provisionen und individuelle Prämien, wie sie sonst in der Branche üblich sind?

Prämien passen nicht zu einem Dienstleistungsunternehmen. Unsere Top-Fachkräfte werden nach Zeit bezahlt, die sie in Kundenprojekten zubringen. Die Tagessätze können aber stark variieren, je nachdem, um welchen Kunden und welches Thema es im Projekt geht. Wer Glück hat und ein hochdotiertes Projekt erwischt, das eigentlich wie von selbst läuft, kriegt ein hohes Gehalt, ohne sich dafür groß anstrengen zu müssen. Andere Kolleginnen und Kollegen sind vielleicht bei ganz schwierigen Kunden und haben trotz eines niedrigen Tagessatzes hoch anspruchsvolle, komplexe Probleme zu lösen – und verdienen am Ende deutlich weniger. Das ist nicht fair und nur eine Nasenfaktorprämie!


Wir haben das schon in der Vorgängerfirma von Arineo abgeschafft und gesagt: Jede Stunde zählt. Wer mehr Zeit in den für uns wichtigsten Projekten verbringt, im Wesentlichen in Projekten beim Kunden, bekommt auch mehr Geld. Natürlich müssen wir aufpassen, dass die guten Leute nicht in die Überlast kommen. Top-Performer erkennt man daran, dass sie immer ganz viel Arbeit auf ihrem Schreibtisch haben, denn sie ziehen diese wie magisch an.


Wie sieht es im Vertrieb aus – da habt Ihr ja auch keine Prämien, oder?

Genau. Das hat den Vorteil, dass es diese Diskussionen, welche Kunden man bekommt, nicht mehr gibt. Und auch Vertriebsmitarbeitende müssen zusammenarbeiten, weil sie unterschiedliche Schwerpunkte haben. Egal an welchem Standort jemand sitzt – auch hier kommt es auf Teamarbeit an.


Haben manche Mitarbeitende damals gekündigt, als Ihr die Prämien abgeschafft habt?

Das waren eher Einzelfälle. Nur gelegentlich ist jemand abgesprungen, weil ein anderer Arbeitgeber mit Bonuszahlungen gewunken hat.


Wenn Ihr Überschüsse erwirtschaftet, was passiert damit?

Wir haben normalerweise eine hohe Ertragskraft. 10 Prozent legen wir zurück. Das brauchen wir, um möglichen Krisen begegnen zu können und dann nicht gleich Leute entlassen zu müssen. Zum Beispiel konnten wir während der Coronapandemie trotz 25 Prozent Umsatzreduktion mit Kurzarbeit eine Null schreiben. Wenn wir mehr Gewinn machen, zahlen wir das an alle Mitarbeitenden zu gleichen Teilen aus.


Du hast davon gesprochen, dass Ihr alles wegnehmt und abschafft, was die Motivation der Mitarbeitenden stören könnte. Was demotiviert denn die Beschäftigten Deiner Erfahrung zufolge am meisten?

Dass Leistung nicht gesehen und gewürdigt wird. Demotivation entsteht schon hauptsächlich dadurch, dass Mitarbeitende sich nicht fair behandelt fühlen.


Über Führung und ein faires Gehalt haben wir schon gesprochen. Wie sieht es mit den Strukturen und Prozessen oder der technischen Infrastruktur in der Organisation aus – können die nicht auch demotivieren, wenn sie Beschäftigte in ihrem Flow unterbrechen oder sie unnötig von ihrer Arbeit abhalten?

Wer sagt, ich konnte meine Arbeit nicht erledigen, weil mein Laptop nicht funktioniert hat oder die Kolleginnen und Kolleginnen dies und das nicht gemacht haben, der ist bei uns falsch. Wenn Strukturen und Prozesse nicht funktionieren, ist man selbst angehalten, das anzusprechen und sie aktiv gemeinsam mit den anderen zu ändern. Wofür haben wir denn eine kollegiale Organisation? Es ist nicht die Hierarchie, die einen dabei behindern kann.


Werfen wir zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft: Ihr habt einige neue Nachwuchsgeschäftsführerinnen ernannt. Wie geht es mit deren Entwicklung weiter?

Ich habe frühzeitig angekündigt, dass ich nicht mehr so lange arbeiten möchte. Mein jüngster Kollege in der Geschäftsführung ist 51 und da war klar, dass wir uns einen Nachfolgeprozess überlegen müssen. Wir haben einen Aufruf im Unternehmen gestartet: Alle – egal welche Rolle sie aktuell haben, auch Azubis – konnten sich melden und sagen: „Ich möchte in die Geschäftsführung“. Es haben sich bisher 24 Personen gemeldet und davon haben wir schon einige identifizieren können, denen wir das zutrauen. Sie sind noch auf unterschiedlichem Level. Bei uns muss man zuerst Teilprojekteleitung und Projektleitung, dann Projektmanagement und Programmmanagement gemacht macht haben, um schließlich Geschäftsführer zu werden. Es kann auch niemand in die Geschäftsführung, der oder die nicht mindestens zwei Jahre dabei ist. Wir haben jetzt sieben Kolleginnen und Kollegen in der engeren Wahl. Sie haben schon 70 bis 80 Prozent des operativen Geschäfts übernommen.


Grund zur Freude: Im Laufe dieses Jahres geht Arineo komplett in Verantwortungseigentum über. Foto: Arineo
Über Arineo

Arineo, ein IT-Dienstleister mit Sitz in Göttingen und weiteren Standorten in Deutschland, Osterreich, Dänemark und China, ist eine „Employee-owned Company“ – ein Unternehmen in Verantwortungseigentum. Die Arineo GmbH mit ihren rund 400 Mitarbeitenden gehört einer Stiftung und diese wird von den Mitarbeitenden gesteuert. Das funktioniert so: Die Mitarbeitenden können Mitglied in einem Verein werden, der das Präsidium der Stiftung wählt – quasi den Aufsichtsrat mit den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern, die nicht der Geschäftsführung angehören dürfen.


Das Modell basiert auf der Annahme, dass die Mitarbeitenden alles tun, um das Unternehmen langfristig erfolgreich zu machen und zu erhalten. Es gibt keine Anteile, die Mitarbeitende verkaufen könnten. Durch ihre Vereinsmitgliedschaft haben sie lediglich ein Stimmrecht. Für die Unternehmensgründung im Jahr 2019 haben Marko Weinrich und mehr als 50 seiner Kollegen das nötige Startkapital eingebracht. Dieses soll nun im Laufe des Jahres 2024 komplett in Verantwortungseigentum übergehen.

 

Über die Autorin

Ein Foto von Stefanie Hronung. SIe hat braune, mittellange Haare und trägt einen schwarzen Blazer über einem lila Tshirt. Sie steht vor einer weißen Häuserwand mit Fenstern

Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.




 

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