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Stefanie Hornung

„Das neue Nachweisgesetz ist eine Chance für New Pay“

Aktualisiert: 14. Aug. 2023

Mehr Aufwand, mehr Papier, schlicht: nicht praxistauglich – so beurteilen viele Expert:innen das zum 1. August 2022 novellierte Nachweisgesetz. Der deutsche Gesetzgeber ist übers Ziel hinausgeschossen, meint auch die Rechtsanwältin und Inhaberin von „Culture your System“ Kathrin Hartmann. Dennoch sieht sie Möglichkeitsräume für New Work und New Pay.


Portrait von Kathrin Hartmann

Kathrin, das Nachweisgesetz informiert Mitarbeitende über wichtige Eckdaten ihres Beschäftigungsverhältnisses. Nun hat der deutsche Gesetzgeber die Nachweispflicht deutlich ausgebaut. Warum war das nötig?

Schon bisher hatten Arbeitgeber für wichtige Rahmenbedingungen eines Arbeitsverhältnisses wie die Zusammensetzung und Höhe des Entgelts eine Nachweispflicht. Doch im Sommer 2019 wurde die EU-Richtlinie 91/533/1152 beschlossen, die Arbeitsverhältnisse für Mitarbeitende transparenter und verlässlicher machen soll. Diese Richtlinie musste Deutschland jetzt in nationales Recht transformieren. Das Problem ist: Der Gesetzgeber ist dabei übers Ziel hinausgeschossen.


Inwiefern?

Es sind viele neue Punkte hinzugekommen. Während bisher die Frist für den Nachweis insgesamt bei einem Monat lag, haben die Arbeitgeber nun bei manchen Punkten viel weniger Zeit. Und vor allem: Laut der EU-Richtlinie würde eigentlich die Textform genügen. Das heißt, es hätte ausgereicht, wenn Arbeitgeber Mitarbeitende per E-Mail informieren. Doch der deutsche Gesetzgeber besteht auf der Schriftform. Viele wissen gar nicht, was das heißt: nämlich, dass Nachweise ausgedruckt und handschriftlich unterschrieben werden müssen. Digitalisierung sieht anders aus.


Wie praxistauglich sind diese Änderungen aus Deiner Sicht?

Manche Nachweise über Vertragsbedingungen sind am ersten Arbeitstag, manche am siebten Arbeitstag und einige einen Monat später fällig. Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass die Punkte, die direkt nachzuweisen sind, im Arbeitsvertrag drinstehen. Und das ist bisher in der Regel auch schon der Fall. Aber wenn mal ultraschnell ein Arbeitsverhältnis begründet wird und jemand remote arbeitet, lässt sich das vom Arbeitgeber nur schwer erfüllen. Da rennst Du aber zur Post!

Die neuen Nachweispflichten reichen vom konkreten Enddatum des Arbeitsverhältnisses bei befristeten Arbeitsverhältnissen und einer möglichen Wahl des Arbeitsortes über Arbeitszeitregelungen und Kündigungsverfahren bis hin zu einem Anspruch auf Fortbildungen.


Einige Neuerungen betreffen auch die Vergütung. Welche sind das genau?


Schon bisher mussten Arbeitgeber die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts nachweisen und sämtliche Vergütungsbestandteile aufführen – also auch Zuschläge, Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen und wann sie fällig werden. Diese Bestandteile sind getrennt anzugeben, nun auch mit der Art der Auszahlung. Außerdem müssen Beschäftigte jetzt auch in Schriftform informiert werden, ob Überstunden angeordnet werden können und ob bzw. wie der Arbeitgeber sie vergütet. Auch für die Altersvorsorge ist dazugekommen: Es muss der Name und Anschrift des Versorgungsträgers bei einer Versorgungszusage des Arbeitgebers im Nachweis drinstehen.


 

Über Kathrin Hartmann


Kathrin ist Rechtsanwältin und Inhaberin von „Culture your System“. Im New Pay Campus bietet sie Formate für New Pay und Arbeitsrecht an. Unter anderem Arbeitsrecht To-Go: ein interaktiver Impuls mit Nadine Nobile, wo immer aktuelle Arbeitsrecht-Themen behandelt werden.

Bei Arbeitsverträge auf Augenhöhe lernt Ihr die Möglichkeiten kennen, einen ansprechenden Arbeitsvertrag zu erarbeiten - innerhalb rechtlicher Grenzen.

Für unseren Newsletter „Gehaltvolle Zeilen“ gestaltet Kathrin Hartmann eine neue Rubrik namens „Arbeitsrecht Hacks“.

 

Wie können Arbeitgeber das am besten gestalten: alles in den Arbeitsvertrag schreiben oder besser extra Dokumente aufsetzen?


In den allermeisten Arbeitsverträgen steht heute schon fast alles, was nach dem Nachweisgesetz erforderlich ist – bis auf Ausnahmen wie der Altersversorgung oder die Formulierung zum Kündigungsverfahren zum Beispiel. Vielleicht muss man sich auch genauer anschauen, was zur Formulierung der Überstunden drinsteht. Wenn hier eine Anpassung nötig ist oder wenn man einen Neuvertrag aufsetzt, hat man beide Möglichkeiten: diese in einen Vertrag zu schreiben oder in einer separaten Information gemäß Nachweisgesetz. Man sollte sich dabei bewusst sein: ein Arbeitsvertrag ist ein beidseitiges Vertragsdokument.


Das heißt, dass hier immer eine Zustimmung erforderlich ist – anders als bei einem extra Nachweisdokument?


Ja, genau. Beim Vertrag muss man zustimmen. Und auch eine spätere Änderung ist nicht ohne weiteres möglich. Eine Information gemäß Nachweisgesetz ist eine sogenannte Wissensformulierung. Da könnte man dann sowas schreiben wie, „nach unserem derzeitigen Kenntnisstand sind das die geltenden, arbeitsvertraglichen Bedingungen“. Das ist ein bisschen schräg. Aber bei stark verkürzten Verträgen oder in Bezug auf einzelne Punkte nutze ich das auch bei meinen Mandant:innen manchmal. Je nach Einbindung lässt sich das natürlich auch etwas netter formulieren. In dem extra Dokument zum Nachweisgesetz stehen dann eher Dinge, die sich vielleicht noch ändern können – der Arbeitsort etwa, wenn hybride Modelle noch in der Entwicklung sind, aber auch der Auszahlungszeitpunkt am Anfang, Mitte oder Ende des Monats. So können sich Arbeitgeber einen gewissen Spielraum bewahren.


Auch bei Gehaltsrunden, Prämienzahlungen oder Inflationsausgleich kann es ständig Veränderungen geben. Wie handhabt man das am besten?


Meistens bleibt der Arbeitsvertrag bestehen. Manchmal gab es Zusatzdokumente zum Arbeitsvertrag oder die Arbeitgeber informierten über eine Rundmail dazu. Das Gehalt entwickelt sich ja in der Regel nach oben. Und da geht man stillschweigend von einem Einverständnis aus. Nun bräuchte es eigentlich bei jeder Anpassung ein neues Dokument gemäß Nachweisgesetz, das der Arbeitgeber auf Papier ausdruckt und unterschreibt. Wenn das Arbeitgeber tatsächlich so umsetzen müssten – das wäre Wahnsinn!


Was könnte passieren, wenn sie es nicht tun? Bisher galt ja die Regel, wo kein Kläger, da kein Richter.


Genau, das hat sich jetzt verändert. Also solange das für die Mitarbeitenden okay war, hatten Arbeitgeber bisher nichts zu befürchten. Aber jetzt soll es Prüfer:innen geben, die sich das angucken. Die könnten also die Gehaltsabrechnungen mit dem Arbeitsvertrag und den Dokumenten gemäß Nachweisgesetz abgleichen. Und Verstöße gegen das Nachweisgesetz stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die kostet. Das Bußgeld liegt bei bis zu 2000 Euro. Auf der anderen Seite: Wenn man sich in der Gesetzesbegründung anguckt, mit wie wenig Prüfaufwand der Gesetzgeber rechnet, frage ich mich, was da tatsächlich geprüft wird. Aber man weiß es im Moment nicht.


Eingangs hast Du gesagt, die EU-Richtlinie zielt auf mehr Transparenz und Verlässlichkeit ab. Ist denn aus Deiner Sicht zu erwarten, dass das Nachweisgesetz diese Ziele einlöst?


Ehrlicherweise gehe ich vom Gegenteil aus. Es gibt natürlich Branchen und Berufszweige oder prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen Beschäftigte bei manchen Themen nun endlich etwas an der Hand haben. Aber in den meisten Fällen könnte das Nachweisgesetz dazu führen, dass viele Unternehmen oder deren Anwälte die Verträge nur weiter aufblähen. Das verstärkt eher die Intransparenz. Einfache Verträge sind leichter verständlich und deshalb transparenter.


Inwiefern trägt das Nachweisgesetz dazu bei, die Regeln und Prozesse rund um die Vergütung besser zu verstehen?


Das umfasst das Nachweisgesetz so gut wie gar nicht. Immerhin steht bei Tarif-Unternehmen drin, in welcher Entgeltgruppe man eingruppiert ist. Und über die Tätigkeitsbeschreibung muss die Eingruppierung an sich nachvollziehbar sein. Aber so komplex wie die meisten Tarifverträge sind, führt das nicht unbedingt zum besseren Verständnis bei Mitarbeitenden. Und bei Nicht-Tarif-Unternehmen steht in den Verträgen auch nur, welche Vergütungsbestandteile es gibt, aber gerade nicht, aus welchen Regeln oder Prozessen sie sich ergeben. Oder ob es eben doch nur reine Verhandlungssache ist. Für die meisten Beschäftigten ist das ein Buch mit sieben Siegeln.


Natürlich kommt es bei dem Thema auch immer darauf an, wie gut Arbeitgeber schriftliche Dokumente und die Überlegungen dahinter erklären…


Ja, Verträge sind oft Papiertiger und meist in einer sehr juristischen Sprache formuliert. Vieles davon klingt für die Beschäftigten höchst seltsam. Das ist bedauerlich, denn Arbeitsverträge regeln, wie wir zusammenarbeiten. Sie sind Teil der Unternehmenskultur. Ich finde es fatal, wenn ein tolles New-Work-Unternehmen von Freiheit und Selbstständigkeit spricht und dann den Mitarbeitenden einen mehrseitigen Vertrag vorlegt, der juristisch verklausuliert und absolut risikoavers ist. Das muss nicht sein. Hinzu kommt: Oft klären die Arbeitsverträge konkrete Sachverhalte nicht.


Hast Du dafür ein Beispiel?


Wenn zum Beispiel im Arbeitsvertrag von Vertrauensarbeitszeit die Rede ist, dann hat das erstmal nichts mit Transparenz zu tun. Dadurch wissen Mitarbeitende ja zum Beispiel noch lange nicht, ob sie jetzt einfach mal „auf Überstunden“ Kinder früher von der Schule abholen können oder auch eine Auszeit einfach so in Ordnung ist. Wenn ich in Unternehmen nachfrage, was sie unter Vertrauensarbeitszeit verstehen, dann kommen ganz unterschiedliche Dinge – eine flexible Wochenarbeitszeit, eine flexible Verteilung der Arbeitsstunden oder grundsätzlich die Ausrichtung an den Ergebnissen. Führungskräfte handhaben das dann oft auch unterschiedlich, insbesondere wenn es keine Betriebsvereinbarung gibt. Darüber muss man im Unternehmen sprechen.


Verträge bieten also viele Tücken und ersetzen Kommunikation nicht. Könnten Unternehmen nicht ganz auf Arbeitsverträge verzichten, dem Nachweisgesetz zum Trotz?


Das können sie durchaus tun. Ich habe mehr als sechs Jahre in einer Anwaltskanzlei gearbeitet und hatte keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, sondern hab quasi auf Handschlag gearbeitet. Bestimmte Vertragsdetails ergeben sich erst im Lauf der Zeit. Aber es gelten mindestens die zwingenden arbeitsrechtlichen Regelungen, zum Beispiel bei der Urlaubszeit. Fiese Sachen, die sonst in Arbeitsverträgen stehen könnten, hat man dann nicht. Bedenken sollte man aber auch: Viele Menschen ohne juristische Kenntnisse kann es verunsichern, keinen Arbeitsvertrag zu haben – auch wenn Arbeitgeber jetzt in einem Dokument gemäß Nachweisgesetz die vorgeschriebenen Punkte irgendwie in Schriftform darlegen müssen.


Du würdest also immer einen Arbeitsvertrag machen?


Ja. Das vermittelt ja auch Sicherheit. Die Frage ist nur, wie man den Arbeitsvertrag gestaltet. Es gibt Alternativen zum Papiertiger. Ein besonderes Beispiel ist der niederländische Schokoladenhersteller Tony's Chocolonely. Deren Arbeitsvertrag ist eine Art Infografik. Vielen Arbeitgebern erscheint das nicht ernsthaft genug – das bekomme ich zumindest als Feedback von meinen Mandant:innen. Doch es ist eine gute Anregung, um sich damit auseinanderzusetzen, wie man einen Arbeitsvertrag auch gestalten kann. Denn insgesamt können Arbeitsverträge deutlich vereinfacht werden. Man sollte sich fragen, ob sich die Beschäftigten nicht am meisten darüber freuen, wenn sie einen schönen kurzen Vertrag – vielleicht als Anschreiben formuliert – hätten, der sinngemäß vermittelt: Wir wollen mit dir auf der Basis von folgenden Bedingungen zusammenarbeiten. Bist auch Du einverstanden? Und das dann als Grundlage für ein Gespräch nimmt.


Inwiefern wird eine solche vereinfachte Handhabung durch das neue Nachweisgesetz gefördert oder behindert?


Das neue Nachweisgesetz ist für viele Arbeitgeber ärgerlich. Aber es kann ein guter Anlass sein, die tatsächlichen Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu überprüfen. Vielleicht auch die Verträge mit den Mitarbeitenden zusammen neu zu denken. Und sich zu fragen: Passt das, was und wie es in unseren Verträgen steht wirklich zu unserer Kultur? So gesehen ist das neue Nachweisgesetz eine Chance für New Work und New Pay. Ich freue mich über jedes Unternehmen, das diese Möglichkeit nutzt.


Wenn Du mehr über die Synopsis der neuen Regelungen im Nachweisgesetz lesen möchtest, dann klicke auf den Link.


 

Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.

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