Arbeitsrecht Hacks Vol. 6
Viele Organisationen kommen nicht umhin, ihr Vergütungssystem anzupassen. Zumindest dann, wenn sie bislang nur individuelle Entgeltentscheidungen getroffen haben. Denn jüngste Urteile und die neue EU-Transparenzrichtlinie bringen neue Anforderungen. Transparente und nachvollziehbare Kriterien werden damit alternativlos.
In Deutschland reicht bereits die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts aus, dass Organisationen ohne ein entsprechendes Vergütungssystem Schwierigkeiten haben, die Benachteiligung zu widerlegen. Gelingt der Nachweis nicht, anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien entschieden zu haben, erfolgt eine Entgeltangleichung nach oben. Mitarbeitende können dabei die Vermutung der Benachteiligung leicht vortragen: Hierzu müssen sie entweder das höhere Gehalt des oder der Kolleg:innen des anderen Geschlechts kennen. Oder der gesetzlich normierte Auskunftsanspruch ergibt, dass ihr Entgelt unterhalb des mitgeteilten Medians liegt.
Die EU-Transparenzrichtlinie wird das Auskunftsrecht noch erweitern - und auch die Geldstrafen und Entschädigungszahlungen bei Verstoß.
Damit eine Organisation in einem solchen Fall das Entgelt nicht nach oben angleichen muss, hat sie ganz konkret (ggf. unter Beweisantritt) vorzutragen, warum es zu einem Unterschied bei der Höhe des Entgelts gekommen ist. Dabei darf der Unterschied nur auf objektiven Kriterien beruhen, die eben nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Verhandlungsgeschick ist, wie wir seit dem Urteil des BAG vom 16.02.2023 wissen, keine zulässige Unterscheidung.
Anerkannt sind folgende objektive Kriterien:
Bessere Qualifikation aufgrund einer fachspezifischen Ausbildung
Längere Berufserfahrung – beides nur, soweit es für die Arbeit wirklich relevant ist
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt: Das höhere Entgelt muss erforderlich gewesen sein, um die offene Stelle mit einer geeigneten Fachkraft zu besetzen. Dabei darf es keinen ebenso gut geeigneten Bewerber oder Bewerberin gegeben haben, die zu einem anderen Entgelt die Arbeit gemacht hätten.
Was vielen nicht klar ist: Die genannten Gründe können eine Unterscheidung im Entgelt zulässig machen. Dem geht voraus, dass Organisationen ihre Vergütungsprozesse und Systeme so anpassen und vereinheitlichen, dass sie nicht mehr auf individuellen Verhandlungen beruhen, sondern bereits von vornherein an objektive, diskriminierungsfreie Kriterien anknüpfen. Nur so fliegt ihnen künftig die nötige Transparenz nicht um die Ohren. Denn um Fairness zu schaffen, sollten die Regeln der Vergütung auch nachvollziehbar sein. Die rechtlichen Entwicklungen sind gute Gründe, sich an das Thema heranzuwagen und an objektiven Kriterien zu arbeiten. Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie nennt vier Hauptkriterien, die Unternehmen ansetzen können, um gleiche oder gleichwertige Arbeit zu bewerten: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Künftig werden Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden regelmäßig über ihre Gender Pay Gaps berichten müssen. Ist dieser über 5 Prozent und wird nicht innerhalb von 6 Monaten korrigiert, ist eine Neubewertung mit der Arbeitnehmendenvertretung durchzuführen – wenn der Unterschied nicht aufgrund objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt ist.
Über die Autorin
Rechtsanwältin Kathrin Hartmann macht deutlich: Handlungsoptionen gibt es immer– selbst im engsten arbeitsrechtlichen Korsett. Für uns stellt sie Tipps und Tricks zum Thema „New Pay & Arbeitsrecht“ zusammen (z.B. in unserem Newsletter Gehaltvolle Zeilen oder in Weiterbildungsangeboten auf unserem Campus) und lotet aus, wie neue Formen der monetären und nicht-monetären Vergütung gewinnbringend für alle umsetzbar sind.
Hi Kathrin, danke für die tollen Insights zu diesem wichtigen Thema! Ich kannte mal jemanden, der sich wegen vermuteter Ungleichbehandlung in Gehaltsfragen an eine Mannheimer Kanzlei gewandt hat. Durch eine kompetente Beratung konnte er seine Situation auf Grundlage objektiver Kriterien klären. Es ist ermutigend zu sehen, dass solche rechtlichen Rahmenwerke existieren und weiterentwickelt werden, um faire Arbeitsbedingungen zu schaffen.