Der Umgang mit Geld und Vergütung ist ein wichtiger Hebel für Veränderung – auch oder gerade in der Krise. Denn wenn Unternehmen den Rotstift ansetzen müssen, offenbart sich ihre Kultur besonders deutlich. Prinzipien von New Pay können dabei nicht nur Leitlinien sein, sondern auch die Resilienz der Organisation stärken.
Als wir (Nadine Nobile, Sven Franke und ich) 2017 das Projekt New Pay initiierten, trieb uns vor allem ein Gedanke: Die Art und Weise, wie Unternehmen das Thema Vergütung anpacken, zeigt ganz deutlich, wie sie es mit New Work halten. Vergütung als Spiegel der Kultur – das ist es, was New Pay meint.
Doch mit der Corona-Krise haben sich auf den ersten Blick einige Rahmenbedingungen geändert: Statt um Digitalisierung, VUCA-Welt, Vermeidung von Fachkräftemangel oder Klimakrise geht es für viele Unternehmen nun zuallererst ums nackte Überleben. Drohende Insolvenz, mangelnde Liquidität oder langfristige Auftragsschwäche stehen als Damoklesschwert über vielen Betrieben. Dennoch gibt es Möglichkeiten, diese Ausnahmesituation bewusst und aktiv zu gestalten. Gerade weil es nun ans Sparen geht, ist der Krisenmodus ein Identitätscheck.
Fairness, Transparenz, Selbstverantwortung, Partizipation, Flexibilität, Wir-Denken und Permanent Beta – die sieben Dimensionen von New Pay sind dabei ein Gradmesser.
In diesem Zusammenhang beobachten wir zweierlei: Unternehmen, die sich nicht erst seit gestern einer Kultur auf Augenhöhe verschreiben oder sogar schon New-Pay-Aspekte thematisieren, profitieren in der aktuellen Lage. Daraus lassen sich aber auch Leitlinien für andere Unternehmen ableiten, die sich bisher an das heiße Eisen New Pay noch nicht herangewagt haben.
Drei Beispiele, wie New Pay in Krisenzeiten wirken kann:
Grünes Licht: Transparenz schaffen
Wie lang die Krise dauern wird ist ebenso ungewiss, wie der Verlauf der Pandemie und der Geltungsdauer von Distanzregeln. Dennoch können Unternehmen verschiedene Szenarien erstellen, die Anhaltspunkte darüber geben, wie schwer es den eigenen Betrieb treffen wird. In der Kommunikation von Best-Case- und Worst-Case-Szenarien sind die Unternehmen im Vorteil, die schon vor der Krise eine hohe Transparenz geübt haben. Wenn Mitarbeitnde die wichtigsten Zahlen im Unternehmen kennen, ist es leichter, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu verdeutlichen. Doch es ist nie zu spät, mit einer transparenteren Kommunikation zu beginnen. Wie viele Monate wird das eigene Unternehmen voraussichtlich mit Einbußen rechnen müssen? Welche Rücklagen hat es und wie lange reichen unter den aktuellen Bedingungen (wie etwa staatlichen Hilfen) die derzeitigen Mittel? Welche Faktoren bestimmten die Knappheit finanzieller Ressourcen? Diese Fragen können handlungsleitend sein.
„Wir sind vom Portfolio her gut aufgestellt und könnten mit den von der Regierung geschaffenen Rahmenbedingungen ohne Umsätze etwa ein Jahr überleben“, sagt beispielsweise Bodo Janssen, CEO von Upstalsboom, im Interview mit New Management. Das Unternehmen, das rund 70 Hotels und Ferienwohnanlagen an Nord- und Ostsee betreibt, hat anhand konkreter Zahlen aufgezeigt, welcher Liquiditätsbedarf für jedes Hotel entsteht, welche Verluste es gibt und wie viel Geld durch zusätzliche Maßnahmen, wie Vergleichsgelder von Versicherungen, Zuschüsse oder Kredite, zur Verfügung stehen. „Das ist eine neue Dimension an Transparenz und für uns auch neu“, so der Upstalsboom-Geschäftsführer. Um die finanzielle Lage leicht verständlich zu machen, kommt ein Ampelsystem zum Einsatz: Grün bedeutet, die Situation lässt sich aus operativen Mitteln stemmen, Gelb heißt, es geht an die Substanz wie etwa die Immobilien, und Rot ist das ultimative Warnsignal dafür, dass die Firma Richtung Insolvenz steuert. „Durch das Ampelsystem wissen alle genau, wo wir stehen.“
Wir-Denken: Partizipation beginnt oben
Zu Beginn des Shutdown kursierte vor allem ein Appell in Unternehmen und Gesellschaft: Wir müssen jetzt zusammenhalten! Das ist eine wichtige Botschaft. Unter den New-Pay-Dimensionen ist das Wir-Denken in der Krise der wichtigste Kristallisationspunkt. Doch wer auf die Kraft einer Solidargemeinschaft baut, sollte diese auch vorleben. Wenn Unternehmen Kurzarbeit als Kriseninstrument nutzen, gleichzeitig aber Gewinne ausschütten und hohe Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen, hat das einen fahlen Beigeschmack. Fließen weiterhin exorbitante Managergehälter, während Strukturwandel und Personalabbau im Raum stehen, verlieren Unternehmen Glaubwürdigkeit. Umgekehrt ist die Signalwirkung groß, wenn der Verzicht zuallererst aus der Führungsetage kommt.
Was das heißt, hat Dan Price bereits 2015 demonstriert: Der CEO von Gravity Payment, einem Unternehmen das KMU bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen hilft, verzichtete auf sein Millionengehalt, um jeder:m seiner Mitarbeitenden mindestens 70.000 Dollar zu bezahlen. Seine Überzeugung: Ein noch höheres Gehalt wirkt sich nicht mehr steigernd auf die emotionale Gesundheit und Zufriedenheit aus. Gleichzeitig erzeugt ein solches Mindestgehalt, von dem jeder gut leben kann, eine psychologische Sicherheit, die es jeder:m Beschäftigen erlaubt, sich voll und ganz auf die Kunden zu fokussieren. In der Krise kommt ein weiter Vorteil zum Vorschein: Wer bei sich anfängt, kann auch Mitarbeitende fragen, inwiefern sie es sich leisten können, Opfer zu bringen. Zu Beginn der Corona-Pandemie rief Dan Price eine Mitarbeitendenversammlung ein, um alle über den Status quo zu informieren und kreative Strategien für die nächsten Monate zu erbitten. „Wir haben einfach alle Karten auf den Tisch gelegt“, so der Geschäftsführer. Auf Initiative des gesamten Gravity-Teams entstand eine unkonventionelle Strategie: Alle Mitarbeitenden gaben an, ob und in welcher Höhe sie auf Gehalt verzichten könnten, um Arbeitsplätze zu erhalten. Freiwillige Gehaltskürzungen erlauben es dem Unternehmen, acht bis zwölf Monate ohne Entlassungen zu überstehen.
Gegen den Trend: Personalabbau vermeiden
Für viele Manager:innen ist die Versuchung groß, in Krisenzeiten in übliche Muster zurückzufallen: Beschäftigte entlassen, um Personalkosten zu sparen, den Rotstift bei der Weiterbildung ansetzen, weil das fürs laufende Geschäft nicht so wehtut, oder hierarchische Strukturen zu stärken, statt größere Entscheidungsvielfalt zuzulassen, weil es nun angeblich schnellere Reaktionsmöglichkeiten braucht. Derartige Management-Reflexe folgen oft einem vorauseilenden Gehorsam, um Erwartungen der Shareholder:innen zu bedienen. Doch aus vergangenen Krisen lernen wir etwas anderes: Unternehmen, die Personalabbau vermeiden oder in das Know-how der Beschäftigten investierten, bringen sich für künftige Innovationen in die bessere Ausgangslage.
Die holländische Hypothekenberatung Viisi beherzigt dies in ihrer Krisenstrategie. „Das Entscheidende ist zunächst, psychologische Sicherheit herzustellen. Jede:r Mitarbeiter:in will wissen: ‚Ist mein Job gefährdet?‘ Darüber sollten sich die Mitarbeitenden keine Sorgen machen“, erklärt Co-Founder Tom van der Lubbe. Dass alle Beschäftigten mit ihren Familien gesund durch die Krise kommen, erklärte das Unternehmen zur obersten Priorität. Auf dieser Basis hat Viisi ein Worst-Case-Szenario erstellt und den Mitarbeitenden aufgezeigt, wie lange das Unternehmen bei null Umsatz die Gehälter weiterzahlen kann. Jede Woche gibt es dazu für alle in einem sogenannten Townhall-Meeting ein Update. „Darüber hinaus haben wir als Eigentümer unser Commitment abgegeben, aus unseren privaten Mitteln die Liquidität der Firma zu erhöhen, falls das notwendig wäre.“ Denn schließlich gehe es darum, die Zeit der Krise für eine Innovationsoffensive zu nutzen und endlich Ideen umzusetzen, für die sonst oft weniger Zeit bleibe. „Wir sehen uns als schon recht schnelles Auto, das vor der Krise in die Garage fährt und danach als Rennwagen wieder herauskommt.“
Krisen-Resilienz: Neues Normal oder normale Andersartigkeit?
Sparen kann helfen, über eine schwere Zeit zu kommen. Doch wer die Konjunkturflaute nutzt, um Beschäftigte zu qualifizieren oder gar neu zu rekrutieren, hat für einen künftigen Aufschwung die besseren Karten. Denn eines ist klar: Mit der Corona-Krise gehen bisherige Herausforderungen nicht weg. Um Digitalisierung, Automatisierung oder dem Klimawandel zu begegnen, braucht es neue Konzepte und Innovationen, die sich nicht einfach wegsparen lassen.
Wie kommen wir also weiter? Aufgrund der Unternehmenskultur und des finanziellen Rahmens sind die Möglichkeiten für partizipative Krisenstrategien in jedem Unternehmen anders. Aber die Krise bietet für alle eine Chance jenseits herkömmlicher Veränderungskosmetik. Dafür sollten wir allerdings genauer hinschauen, wenn vom „neuen Normal“ die Rede ist. Ist nur ein Zurück zum Alten, ein verstecktes Weiter-so, gemeint? Sind wir im Bewahrungsmodus oder treibt uns der Gestaltungswille? New Pay als ständige Suche nach einer fairen Vergütung für unsere Arbeit ist New Work für Fortgeschrittene. Doch gemäß dem Prinzip Permanent Beta geht es nicht um den einen großen Wurf, sondern um den Mut, wirklich anzufangen. Das ist es, was Unternehmen auch für künftigen Wandel resilient macht.
Stefanie Hornung liegt nachhaltiges Management und Vergütung am Herzen. Ob im Newsletter "Gehaltvolle Zeilen" oder auf dem Blog - sie greift aktuelle Themen der Arbeitswelt auf und komponiert Geschichten mit Tiefgang.
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